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Montag, 29. Mai 2023

Disability Visibility


Hallo meine Lieblingsleser,

heute möchte ich euch ein Non-Fiction Buch vorstellen, dass schon zum Asian Readathon passt, weil die Editorin eine asiatisch-amerikanische Aktivistin ist, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt. Allerdings ist das Buch selbst eine Sammlung von Essays, die für den US-amerikanischen und britischen Raum sehr viele diverse Stimmen abbildet.

Die Fakten:

  • Editor: Alice Wong
  • Titel: Disability Visibility
  • Erschienen: 2020
  • Verlag: Vintage
  • Seiten: 275 + Anhang
  • Preis: 13,49 Euro
  • Klappentext: "One in five people in the United States lives with a disability. Some are visible, others less apparent - but all are underrespresented in media and popular culture. Now, just in time for the thirtieth anniversary of the Americans with Disabilities Act, activist Alice Wong brings together this urgent, galvanizing collection of contemporary essays by disabled people. From Harriet McBryde Johnson's account of her debate with Peter Singer over her own personhood to original pieces by authors such as Keah Brown and Haben Girma; from blog posts, manifestos, and eulogies to congressional testimonies, and beyond: this anthology gives a glimpse into the rich complexity of the disabled experience, highlighting the passions, talents, and everyday lives of this community. It invites readers to question their own understandings. It celebrates and documents disability culture in the now. It looks to the future and the past with hope and love."

Ich werde jetzt auf die einzelnen Essays eingehen und dann am Ende meine Gesamteinschätzung des Buches kurz zusammenfassen. Entschuldigt bitte, dass es ein langer Text geworden ist, aber es sind wirklich einige Essays hier zusammengetragen, und ich wollte mir die Zeit nehmen, euch einen umfassenden Einblick in die Themen des Buches zu geben.

Meine Meinung zu den einzelnen Essays:

  • Unspeakable Conversations
In diesem ersten Essay von Harriet McBryde Johnson erzählt uns diese hochgebildete Aktivistin für die Rechte von behinderten Menschen von einer andauernden Diskussion, die sie mit einem Philosophen hatte, der sich für ein Recht von Eltern einsetzt, ihre Kinder mit Behinderung töten lassen zu können. In diesem Essay schreibt sie darüber, wie absurd es ist mit einem an sich nicht unsympathischen Menschen auf einem intellektuellen Level zu diskutieren, ob es Menschen wie sie überhaupt geben sollte. Das Essay und die Debatten stammen aus den frühen 2000ern, als das scheinbar gerade ein großes Thema in den USA war. Es ist sehr gut und anschaulich geschrieben und fängt die Ambivalenz, die Harriet McBryde Johnson gegenüber diesem Philosophen empfunden hat, perfekt ein.
  • For Ki'tay D. Davidson, Who Loves Us
Bei diesem Beitrag von Talila A Lewis handelt es sich um den Nachruf auf den Schwarzen Trans-Mann Ki'Tay D Davidson, der sich neben anderen auch für die Rechte von behinderten Menschen einsetzte. Der Beitrag zelebriert das Leben und Wirken des Aktivisten, sowie seine besondere Art allen anderen Menschen mit Sympathie und Liebe entgegenzutreten, selbst wenn man nicht einer Meinung war. Mich macht es immer traurig jemanden über einen geliebten Menschen sprechen zu hören, der nicht mehr da ist, und so war es auch hier.
  • If You Can't Fast, Give
Dieses kurze Essay von Maysoon Zayid beschäftigt sich mit dem religiösen Fasten während des Ramadan, und welche Bedeutung dies für die Autorin hatte. Ich mochte diesen Blickwinkel, weil es für mich eine völlig neue Perspektive auf den Fastenmonat war. Letztlich fordert Maysoon Zayid ihre muslimischen Mitmenschen, die aus körperlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht fasten können, im Geiste und möglichst finanziell durch Spenden an Bedürftige diese religiöse Tradition dennoch zu unterstützen und keine Scham dafür zu empfinden, dass ihnen das Fasten nicht möglich ist.
  • There's A Mathematical Equation That Proves I'm Ugly - Or So I learned in My Seventh-Grade Art Class
In diesem Essay von Ariel Henley spricht die Autorin über einen Vorfall in ihrer Schulzeit. Im Kunstunterricht behandelt die Klasse den goldenen Schnitt und verschiedene mathematische Vorstellungen zu Schönheit. Die Autorin selbst hat ein Gesicht, das diesen Vorstellungen nicht entspricht, worauf sie auch promt von einem Mitschüler hingewiesen wird. Sie schreibt dann weiter darüber, wie es ist, wenn man mit dem Wissen aufwächst, dass man als hässlich wahrgenommen wird. Für mich war diese Geschichte vor allem herzzerreißend, weil Ariel Henley in den Momenten, die sie beschreibt, so jung war. Ich kann mir die emotionale und psychische Belastung, die sie erlebt hat, gar nicht vorstellen. Der Kunstlehrerin gelingt es schließlich, Ariel Henley eine neue Perspektive auf ihr Aussehen zu eröffnen.
  • The Erasure of Indigenous People in Chronic Illness
Dieses Essay von Jen Deerinwater ist mit sehr viel Wut geschrieben, die man schnell nachfühlen kann. In dem Beitrag geht es um die medizinische Behandlung von indigenen Personen in den USA, wobei sich ähnliche Erlebnisse sicher auch in vielen anderen Gegenden der Welt finden lassen. Es beginnt allein schon damit, dass auf den Fragebögen von Ärzten und Krankenhäusern meist kein Platz für die Selbstbezeichnungen der indigenen Personen ist, sondern diese Begriffe wie "American Indian" ankreuzen müssen oder schlimmstenfalls gar keine Option für sie existiert. Darüber hinaus geht es dann aber um die Stigmatisierung und Diskriminierung im Medizinsystem, z.B. wenn sich Pfleger weigern Schmerzmittel an indigene Patienten zu geben. Auch die systematische Benachteiligung bei der Finanzierung von Gesundheitseinrichtungen für indigene Menschen werden thematisiert.
  • When You Are Waiting to Be Healed
Dieser Beitrag von June Eric-Udorie wird nicht die US, sondern Großbritannien betrachtet. Es geht vor allem darum, wie durch den Glauben der Familie der Autorin, die nigerianische Wurzeln hat, für sie lange Zeit undenkbar war, dass sie eine Behinderung hat. Stattdessen wurde ihr immer wieder gespiegelt, dass sie nur genug Beten muss und dann wird Gott sie heilen. Als sie das erste Mal darauf angesprochen wird, ob sie offiziell den Status einer Behinderung beantragen will, ist sie fassungslos, denn eine Behinderung ist für sie etwas Permanentes, und nichts was Heilung bedarf. Ich fand diesen Blick auf Religion und Behinderung sehr spannend, da in diesem Schnittbereich so viel Stigmatisierung und auch sogenannte "falsche Helfer", die nur selbst Profit schlagen wollen, lauern. Auch hatte ich vorher noch nie von Nystagmus gehört und habe damit auch noch mehr Neues gelernt.
  • The Isolation of Being Deaf in Prison
Dieses Essay von Jeremy Woods wurde von Christie Thompson niedergeschrieben. Jeremy Woods ist gehörlos und war für vier Jahre in einem amerikanischen Gefängnis. In dem Essay beschreibt er, welche enormen Schwierigkeiten und welche Isolation mit dieser Erfahrung verbunden waren. Es ist wenig überraschend, wie schrecklich das US-Gefängnissystem ist, und trotzdem immer wieder hart zu lesen. So wurde Jeremy Woods immer wieder ein Gebärdensprachen-Übersetzer verweigert. Als es schließlich Krebs diagnostiziert bekam, konnte er mit niemandem darüber kommunizieren. In Anhörungen wurden seine Hände gefesselt, sodass er nicht per Gebärdensprache kommunizieren konnte, und sein Schweigen wurde dann als Geständnis gewertet. Auch werden gehörlose und blinde Personen scheinbar häufig zusammen untergebracht, sodass eine Kommunikation für beide Seiten absolut unmöglich ist.
  • Common Cyborg
Nach dem letzten Essay fand ich diesen recht langen Beitrag von Jillian Weise dann ein bisschen unterwältigend. Es geht dabei um Menschen, die aufgrund von Behinderungen Prothesen benutzen, in kurz Cyborgs. Dabei wird auch ein klarer Schnitt zu Menschen gezogen, die technische Implantate etc. nur nutzen, weil sie sich dann cool und zukünftig fühlen. Insgesamt ist hier aber leider nicht so viel für mich hängen geblieben, was vielleicht aber auch an der Zeit lag, als ich das Essay gelesen hatte.
  • I'm Tired of Chasing a Cure
Dieses Essay von Liz Moore fand ich sehr beeindruckend, denn sie spricht von der Ambivalenz zwischen Selbstakzeptanz als Person mit Behinderung und dem Wunsch nach Linderung oder Heilung. Als Person mit chronischen Schmerzen kann sie den Wunsch nach einem Leben ohne Schmerz nicht völlig ablehnen. Sie spricht von Zeiten, in denen bestimmte Medikamente kurzzeitig dazu führten, dass sie schmerzfrei war, und wir sie dann fast gestorben ist bei dem Versuch dies langfristig zu replizieren. Sie spricht davon, wie man so schnell vergisst, wie das Leben ohne Schmerzen ist - und wie das Leben mit Schmerzen ist. Mit meiner chronischen Migräne konnte ich das ein klein wenig nachvollziehen. Dennoch sagt sie, dass sie ihr Leben leben will, ohne jeden Tag nach dem Heilmittel zu suchen, denn sonst zieht ihr Leben einfach nur an ihr vorbei.
  • We Can't Go Back

Dieser Beitrag ist ein Statement, das 2012 vor dem US-Senat vorgetragen wurde. Darin geht es um einen Appell, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr in Institutionen und auf Stationen leben sollten, sondern innerhalb von Communities Platz finden müssen. Der Vortragende Ricardo T Thornton Sr beschreibt auf eindrückliche Weise, dass Menschen lernen und über sich hinauswachsen können, wenn sie in einer förderlichen Umgebung sind  mit anderen Menschen, die an sie glauben. Daher auch der Titel: zurück in das von der Gesellschaft weggeschobene Leben in Einrichtungen können Menschen mit Behinderung nicht zurück, denn dort gibt es keinen Platz für echtes Leben.

  • Radical Visibility
Hierbei handelt es sich wieder um einen längeren Beitrag von Sky Cubacub. Die längeren Essays sind für mich hier irgendwie meist die schwächeren. Dabei ist die Grundidee nicht uninteressant. Sky Cubacub hat ein Modelabel gegründet, dass sich an Menschen mit Behinderung, trans* und non-binäre Personen und Personen mit hohem Körpergewicht richtet. Diese sollen mit farbenfrohen Designs mit starken geometrischen Mustern loud and proud mit ihrer Mode ihr Leben feiern. Es war nur einfach ein wenig zu langgezogen für mich.
  • Guide Dogs Don't Lead Blind People. We Wanders as One.
In diesem Essay berichtet Haben Girma von ihrer Erfahrung als blinde Person. Als sie aufs College gehen wollte, war sie sehr unsicher, ob sie sich zurechtfinden würde, und wollte daher einen Blindenhund. Sie bekam dann aber den Rat, dass der Blindenhund nur wirklich hilft, wenn sie auch allein klarkommen würde, was sie sich dann mit viel Training beigebracht hat. Sie betont, dass der Hund nicht ihr Führer ist, sondern sie dem Hund immer noch sagen muss, was er tun soll, wohin er gehen soll. Er kann eben nur Hindernisse besser sehen oder hören - wie mit dem Hindernis umgegangen wird, weiß er nicht. Ein spannendes Interview der Autorin: https://www.youtube.com/watch?v=MOw8CgbFiuY
  • Taking Charge of My Story as a Cancer Patient at the Hospital Where I Work

Dieses Essay erzählt davon, wie Diana Cejas in sehr jungen Jahren einen Schlaganfall erlebte und bei ihr ein sehr seltener Krebs gefunden wurde. Sie selbst war gerade in ihrer Ausbildung zur Ärztin in diesem Krankenhaus, in dem sie dann auch behandelt wurde. Nach ihrer Rückkehr und in Verbindung mit den bleibenden Folgen des Schlaganfalls und den Narben ihrer OPs wird sie wie ein bunter Hund - alle scheinen ihren Fall zu kennen, teilweise haben sie sie in ihrem schlimmsten Momenten erlebt, an die sie sich selbst nicht erinnern kann. Sie spricht dann davon, wie der offene Umgang mit ihrer Geschichte nicht nur dazu geführt hat, dass sie sich nicht mehr so preisgegeben fühlte, sondern sie auch andere Menschen fand, die ähnliche Geschichte zu erzählen hatten.

  • Canfei to Canji - The Freedom of Being Loud
Ich schätze es an diesem Buch sehr, wie vielseitig die Perspektiven auf das Thema Behinderung sind. So haben wir hier die Sichtweise der asiatischen Amerikanerin Sandy Ho, deren Eltern vietnamesische und chinesische Wurzeln haben. Sie spricht darüber, wie einige Verwandte ihren Eltern geraten hatten, sie nach der Geburt aufzugeben, da sie im Sinne des Wortes Canfei nur eine Last wäre. Ihre Eltern haben dies nicht getan, aber die Kluft zwischen den ostasiatischen Werten und der amerikanischen Lebensrealität für Menschen mit Behinderung war dadurch nicht automatisch überbückt.
  • Nurturing Black Disabled Joy
Die Autorin dieses Beitrags Keah Brown hat auch ein ganzes Buch geschrieben (The Pretty One), das ich gern lesen möchte. Hier berichtet sie über die Reaktionen auf ihr Buch und warum sie es geschrieben hat. Zentral darin ist das Streben und das Verlangen nach Freude am Leben. Sie reflektiert, dass in unserer Gesellschaft die Einstellung vorherrscht Menschen mit Behinderungen können keine wirkliche Freude im Leben empfinden - und das will sie auf den Kopf stellen, indem sie jeden Tag nach Freude sucht und sie meistens auch findet.
  • Last but Not Least - Embracing Asexuality
Dieses Essay von Keshia Scott hat mir sehr gut gefallen, da es die Frage nach Asexualität und Behinderung aufwirft. Im Buch ACE über Asexualität wird dieses Thema auch angeschnitten - die Vorstellung, dass Menschen mit Behinderung keine sexuellen Gelüste haben (oder aber in seltenen Fällen eine Übersexualisierung). Als Keshia Scott das erste mal mit dem Label in Berührung kommt, erlebt sie große Abneigung aufgrund der damit verbundenen Stereotype, aber eine tiefergehende Recherche zeigt, dass sie tatsächlich asexuell ist - und das nicht aufgrund ihrer Behinderung, aber eben einfach so.
  • Imposter Syndrome and Parenting with a Disability
Für mich ist dieses Essay von Jessica Slice noch ein ganz wichtiger Beitrag in diesem Buch. Jessica Slice spricht darüber, dass sie sich aufgrund ihrer Behinderung manchmal nicht wie eine richtige Mutter fühlt. Sie hat einen Sohn mit ihrem Mann adoptiert, und während sie die ersten Monate gut allein für ihn sorgen konnte, braucht sie mehr und mehr Hilfe, je mobiler das Kleinkind wird. Aufgrund unserer sehr festgefahrenen gesellschaftlichen Vorstellungen, wie eine Mutter zu sein und zu handeln hat, sind viele Mütter sicherlich in einer ähnlichen Lage des "nicht genug Seins und Tuns". Das sollte sich dringend ändern!
  • How to make a Paper Crane from Rage
Dieses Essay von Elsa Sjunneson beschäftigt sich mit Wut und dem Ausdruck, dem wir ihr geben. Ich mochte den Schreibstil mit den Einschüben zu Origami. Ich mochte die Idee, dass die Wut nicht nach außen gewendet wird, sondern über Vulnerabilität dazu genutzt wird, sich Gehör zu verschaffen. Letztlich geht es darum, dass die Gesellschaft einen als Menschen sieht.
  • Selma Blair Became a Disabled Icon Overnight. Here's Why We Need More Stories Like Hers.

In diesem Essay schreibt Zipporah Arielle über die Schauspielerin Selma Blair, die in Eiskalte Engel und Natürlich Blond zu sehen ist. In 2018 hat sie bekannt gegeben, dass sie an Multipler Sklerose erkrankt ist. Sie benutzte auf dem roten Teppich einen Gehstock und dieser Fakt sowie ihr weiteres öffentliches Auftreten werden hier diskutiert. Es geht vor allem darum, wie wichtig solche Stars sind, die einerseits das öffentliche Interesse an Behinderung und chronischer Erkrankung erhöhen können, und gleichzeitig verschiedene Aspekte, die damit einhergehen, z.B. den Gehstock oder andere Mobilitätshilfen, normalisieren.

  • Why My Novel Is Dedicated to My Disabled Friend Maddy

Dieses Essay von A H Reaume hat mir besonders gut gefallen. Es geht darin um zwei Menschen, die sich zufällig auf einem Event begegnen und beide Erfahrungen mit Verletzungen des Gehirns haben. Beide sind dadurch in ihrem Handeln auf bestimmte Weise eingeschränkt - zum Beispiel durch eine Verkürzung der Zeit, die man auf einen Bildschirm starren kann. Doch beide finden, dass sich ihre Einschränkungen gut ergänzen, sodass sie letztlich gemeinsam den Roman der Autorin beenden konnten. Dieser Blick auf Kollaboration war sehr inspirierend.

  • The Antiabortion Bill You Aren't Hearing About

Dieses Essay von Rebecca Cokley ist inzwischen gleichzeitig veraltet und wichtiger denn je. Nachdem Roe v Wade in Amerika gekippt wurde, sind die Rechte auf Abtreibung und reproduktive Gesundheit so eingeschränkt wie seit Jahrzehnten nicht. In diesem Essay geht es um ein Gesetz, dass es in Texas verboten hätte, Kinder aufgrund von Behinderungen, die in der Frühdiagnostik erkennbar sind, abzutreiben. Die Autorin beschreibt, dass es sich bei diesem Thema um eine komplexe Diskussion handelt, hier aber im Vordergrund steht, dass Kinder mit Behinderung nur genutzt werden um die abtreibungsfeindliche Agenda der Republikaner zu pushen und viele andere Gesetze zeigen, dass ihnen nicht an Menschen mit Behinderung liegt.

  • So. Not. Broken.

In diesem Essay schreibt Alice Sheppard über die vermeintliche Binarität von "heil" und "kaputt". Sie ist Tänzerin und schreibt darüber wie ihre Mobilitätshilfen für sie Teil ihres Körpers sind, die sie zum Ausdruck und zur Erschaffung von Kunst nutzt.

  • How a Blind Astronomer Found a Way to Hear the Stars

Dieser Beitrag ist ein TED Talk von Wanda Díaz-Merced. Die verschriflichte Form war für mich zwar interessant, aber da es hier auch im Töne geht, ist der tatsächliche Beitrag als Video noch spannender: https://www.youtube.com/watch?v=-hY9QSdaReY Es ist ein spannender Vortrag, der zeigt, wie Menschen mit Behinderung zu wissenschaftlichem Fortschritt führen können.

  • Incontinence Is a Public Health Issue - And We Need to Talk About It

Dieses Essay von Mari Ramsawakh war für mich besonders interessant, weil es einen Teil von körperlicher Einschränkung zentriert, über den ich noch nicht nachgedacht hatte: Inkontinenz. Wie im Essay beschrieben wird, verbinden wir Inkontinenz mit Kleinkindern und alten Menschen, die Pflege brauchen. Manchmal tauchen noch traumatisierte Kinder dabei auf. Doch im Sinne von Inkontinenz aufgrund einer Behinderung wird selten bis nie berichtet. Die gesundheitliche Risiken, die mit dem Stigma von Inkontinenz einhergehen, werden hier sehr deutlich herausgearbeitet, wodurch es für mich auch gut an meine Forschung anknüpft.

  • Falling/Burning - Hannah Gadsby, Nanette, and Being a Bipolar Creator

In diesem Essay schreibt Shoshana Kessock über das Komedie-Programm Nanette von Hannah Gadsby (könnt ihr auf Netflix schauen), in dem die Idee von "Leiden für die Kunst" kritisch hinterfragt wird. Diese Idee, dass vor allem Künstler mit psychischen Krankheiten besondere Kunst kreieren und durch Medikation diesen Zugang zu ihrem schaffenden Selbst verlieren und deswegen lieber leider und schaffen sollten, haben wir sicher alle schon einmal gehört. In diesem Essay geht es um die persönliche Erfahrung, die Shoshana Kessock damit gemacht hat.

  • Six Ways of Looking at Crip Time

Dieses Essay beschäftigt sich mit Zeit, was ich wahnsinnig faszinierend finde. Ich habe schon im Studien ein paar Hausarbeiten über Zeit geschrieben, denn es ist ein spannendes soziales Konstrukt. Im Besonderen geht es hier nach Ellen Samuels um Crip Time, also eine spezielle Zeit, die Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten erleben. Es werden positive und negative Aspekte davon betont, und ich mochte diese sehr differenzierte Sichtweise auf die Bedeutung von Zeit in diesem Kontext.

  • Lost Cause

Reyma McCoy McDeid ist ein hoffnungsloser Fall laut ihrem Großvater, der kein Problem damit hat fremde gesunde weiße Kinder aufzuziehen, aber sein eigenes Enkelkind aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Autismus dem Staat überlässt. Dieses Essay behandelt, wie solche Sätze sich als selbsterfüllende Prophezeihung in unser Leben brennen können - und wie wir darüber hinauswachsen können. So hat Reyma McCoy McDeid schließlich ihren eigenen hoffnungslosen Fall gefunden und zu einem Erfolg gemacht.

  • On NYC's Paratransit, Fighting for Safety, Respect, and Human Dignity

Die Essays in diesem Band haben meistens Content Warning - bei diesem Essay gibt es keine, und dabei ist es für mich definitiv eins der verstörendsten im ganzen Buch. Britney Wilson ist Anwältin und für ihren Arbeitsweg auf das Paratransit-System für Menschen mit Behinderung in New York angewiesen, weil so viele andere öffentliche Verkehrsmittel nicht barrierefrei sind. Sie beschreibt, wie sie als Anwältin gegen die unsinnigen Regeln und Vorschriften dieses Systems kämpft, und am Ende bschreibt sie einen besonders krassen Fall von Diskriminierung und Grenzüberschreitung, den sie mit einem Fahrer erlebt hat. 

  • Gaining Power through Communcation Access

Dieser Beitrag war ein Interview, dass die Editorin des Buches mit einer Person gehalten hat, die technische Assistenzsystem zur Kommunikation nutzt. Ich fand das Interview selbst etwas redundant und nicht ganz so gehaltvoll wie viele andere Beiträge, zumal der Interviewstyle etwas davon weggeht, dass die Personen frei von der Leber weg schreiben können, was sie möchten, aber das Gedicht am ölerEnde hat mir sehr gut gefallen.

  • The Fearless Benjamin Lay - Activist, Abolitionist, Dwarf Person

In diesem Essay von Eugene Grant geht es um die historische Persönlichkeit Benjamin Lay des 17. und 18. Jahrhunderts. Ich kannte ihn nicht, aber ich kenne mich leider auch mit britischer Geschichte sehr wenig aus. Benjmain Lay war allerdings nicht nur politisch engagiert, um Menschenrechte zu verbreiten, sondern er war auch kleinwüchsig. Im Essay wird dann diskutiert, wie wertvoll und wichtig es ist, dass in geschichtlichen Beiträgen zu dieser Person auch erwähnt wird, dass sie Körpernormen nicht erfüllt hat, und dass dieser Fakt auch das politische Wirken beeinflusst hat.

  • To Survive Climate Catastrophe, Look to Queer and Disabled Folks

Dieser Beitrag von Patty Berne (niedergeschrieben von Vanessa Raditz) diskutiert, dass die Folgen von Klimakatastrophen besonders marginalisierte Gesellschaftsgruppen, allen voran Personen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, treffen. (Gesehen hat man das auch bei anderen Katastrophen wie der Pandemie.) Dabei zeigen dann Beispiele aus diesen Gruppen, wie sich Menschen zusammentun und Hilfe organisieren können, um Menschenleben zu retten, und welches Potential darin für die ganze Menschheit steckt.

  • Disability Solidarity - Completing the "Vision for Black Lives"

Das Harriet Tubman Collective kritisiert in diesem Beitrag die Auslassung von Menschen mit Behinderung in den Texten und Proklamationen der Black Lives Matter-Bewegung. Gerade vor dem Hintergrund, dass in den Schwarzen Communities in Amerika besonders viele Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten existieren, erscheint das ein ernstzunehmendes Problem. Ziel ist es, dass auch diese Gruppe als eine Stimme in die Bewegung eingeht.

  • Time's Up for Me, Too

Dieses Essay von Karolyn Gehrig beschäftigt sich mit sexueller Gewalt, und wie schwierig es vor allem für Personen mit Behinderung, die besonders häufig Opfer von (sexueller) Gewalt werden, ist dagegen vorzugehen. Dabei kommen Aussagen wie: "Eine Jury wird nicht glauben, dass ein Ehemann seine behinderte Frau missbrauchen würde". Ein sehr sehr wichtiges Thema. Die vielen Bezüge zu Shape of Water waren für mich insofern schwierig, weil der Film vor so langer Zeit herausgekommen ist und bei mir davon nicht viel hängen geblieben war...

  • Still Dreaming Wild Disability Justice Dreams at the End of the World

In diesem Essay beschreibt Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha verschiedene Träume und Utopien, die sie für die Behindertenbewegung hat. Es ist eine Aktualisierung von einem früheren Beitrag, was es für mich etwas schwierig gemacht hat, weil ich den ersten Beitrag nicht kannte. Aber der Bezug zu dem Trauma der Trump-Präsidentschaft, die noch aktiv war, während das Buch entstanden ist, wird hier gut eingefangen und in positive, hoffnungsvolle Gedanken transformiert.

  • Love Means Never Having to Say... Anything

Dieses Essay von Jamison Hill fand ich sehr berührend, obwohl ich eigentlich kein sehr romantischer Mensch bin. Hier geht es um die Liebe, und was Liebe braucht. Was sie laut dem Essay nicht braucht, ist die Fähigkeit zu sprechen. 

  • On the Ancestral Plane - Crip Hand-Me-Downs and the Legacy of Our Movement

Dieses Essay von Stacey Milbern beschäftigt sich mit der Idee von Vorfahren, und dass diese Vorfahren keine Blutsverwandten sein müssen. Außerdem diskutiert sie die Idee, dass nicht nur wir heute von unseren Vorfahren lernen, sondern dass auch unsere Vorfahren durch uns weiter lernen. Ich mochte diesen Blickwinkel sehr und fand das Essay sehr eindrücklich.

  • The Beauty of Spaces Created for and by Disabled People

In diesem letzten Beitrag schreibt s.e. smith von einer Tanzaufführung von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung, und wie das Schaffen von solchen Orten, wo eine Community zusammenkommen und einfach für ein paar Stunden sein kann, ein wichtiges und schwieriges Unterfangen ist. Mir hat diese Diskussion am Ende des Buches gut gefallen.

Darüber hinaus bietet das Buch noch kurze Biographien der Autoren und eine Leseliste mit vielen Vorschlägen, wie man sich weiter in das Thema vertiefen kann. Alles in allem kann ich das Buch nur empfehlen, auch wenn es sehr auf die USA und in wenigen Essays Großbritannien fokussiert bleibt.

Bis bald,
Eure Kitty Retro





Meine Bewertung:



Freitag, 19. Mai 2023

Sea Change


Hallo meine Lieblingsleser,

es scheint ganz so, als würde das Bloggen mit unseren Leben im Moment auf keinen grünen Zweig kommen. Für mich persönlich ist es so, dass ich gerade an meinem eigenen Buch arbeite - allerdings eine wissenschaftliche Publikation - und dadurch Einblick erhalte, wie anstrengend und aufwühlend es ist, ein Buch zu veröffentlich. Natürlich wollte das gute Stück erstmal geschrieben werden, und jetzt will es nochmal überarbeitet werden, und da war für mich die Vorstellung hier auch noch zu schreiben einfach nicht attraktiv.

Heute hat mich jetzt aber mal wieder die Lust gepackt. Ich habe eine riesige Liste mit vielen vielen Büchern, die ich euch vorstellen könnte, aber ich habe beschlossen mit etwas Aktuellem anzufangen, nämlich meinem letzten beendeten Hörbuch. Es handelt sich hierbei um Literary Fiction passend zum Asian Readathon. Außerdem ist das Buch recht neu erschienen.

Die Fakten:

  • Autor: Gina Chung
  • Sprecher: Jeena Yi
  • Titel: Sea Change
  • Erschienen: 2023
  • Verlag: Random House Audio
  • Dauer: 8 Std 14 min (ungekürzt)
  • Preis: 9,95 Euro (im Abo)
  • Klappentext:

    "Ro is stuck. She's just entered her thirties, she's estranged from her mother, and her boyfriend has just left her to join a mission to Mars. Her days are spent dragging herself to her menial job at the aquarium, and her nights are spent drinking sharktinis (Mountain Dew and copious amounts of gin, plus a hint of jalapeño). With her best friend pulling away to focus on her upcoming wedding, Ro's only companion is Dolores, a giant Pacific octopus who also happens to be Ro's last remaining link to her father, a marine biologist who disappeared while on an expedition when Ro was a teenager. When Dolores is sold to a wealthy investor intent on moving her to a private aquarium, Ro finds herself on the precipice of self-destruction. Wading through memories of her youth, Ro realizes she can either lose herself in the undertow of reminiscence, or finally come to terms with her childhood trauma, recommit to those around her, and find her place in an ever-changing world."

Zur Handlung: Unsere Erzählerin Aurora, kurz Ro, hat es gerade nicht leicht im Leben. Ihr Partner hat sie verlassen, um an einer neuen Marsmission teilzunehmen und in ihrem Job geht es gerade nicht vorwärts. Sie arbeitet in einem Aquarium, in dem ein Riesentintenfisch lebt, den einst ihr Vater aus einem der verschmutztesten Teile des Pazifiks mitgebracht hat, bevor er auf einer Mission verschwand. Doch dieser Tintenfisch, Dolores genannt, soll nun verkauft werden, um die missliche finanzielle Lage des Aquariums aufzubessern.

Durch ihre akutelle Misere muss sich Ro die Frage stellen, wer sie ist und wer sie sein will. Diese Frage wird sich nicht beantworten lassen, ohne dass sie sich auch einen Blick darauf erlaubt, wer sie war und was sie geprägt hat. Dabei ist ihre Vergangenheit geprägt von den Streitigkeiten ihrer Eltern, ihrem Gefühl nie unkonditional geliebt worden zu sein und ihrer nie eingestandenen Trauer darüber, ihren Vater verloren zu haben, die hinter ihrer Hoffnung, dass er noch irgendwo da draußen ist, versteckt liegt.

Da ich es in einer negativen Rezension zu diesem Buch gelesen habe, möchte ich zu Beginn ganz klar machen: das hier ist kein Buch über den Klimawandel. Auch wenn an einigen Stellen die Veränderungen unserer Erde angesprochen werden und z.B. die geplante Marskolonie der Rettung der Menschheit vor der Klimakrise dienen soll, spielt das Buch leicht in einer etwas stärker verschmutzten Zukunft, aber es geht vorrangig um die innere Lebenswelt unserer Protagonistin. 

Ro als Hauptfigur fand ich sehr interessant. Sie hat viele seelische Wunden, die sie eher vor sich selbst versteckt und durch ein Abschotten von der Welt auch versucht vor anderen zu verstecken. Die Trennung von ihrem quasi-perfekten Freund hat sie noch mehr in die Defensive gebracht, da sie nun erst recht nicht weiß, was sie mit ihrem Leben machen soll. Aber auch die Beziehung selbst war für sie nicht nur Liebe, sondern ein weiterer Bereich ihres Lebens, der ihre vermeintlichen Unzulänglichkeiten für sie hervorgehoben hat.

Ro ist in diesem Sinne eher eine unsichere Person. Ihr Rückzug erscheint ihr vielleicht erstmal als eine sinnvolle Strategie, um nicht weiter damit konfrontiert zu werden, dass sie nicht die Version ihrer selbst ist, die sie sein möchte oder von der sie denkt, dass andere sie haben wollen. Doch zwischen Alkohol und ihrem Job, der ihr keine Zukunft bieten kann, muss sie sich schließlich doch fragen, wer sie denn nun eigentlich ist. Das kann natürlich anstrengend zu lesen sein, wenn man solche Charaktere nicht mag oder solche Fragen die eigene Lebenswelt nicht mehr beeinflussen, aber mir hat das zugesagt.

Wir bekommen im Buch dann auch Ros Familiengeschichte erzählt, die von vielen traurigen Events geprägt ist. Hier würde ich im Zweifel dringend empfehlen content warning nachzuschauen. Ros Eltern sind aus Korea in die USA eingewandert. Ihr Vater war ein erfolgsversprechender Wissenschaftler, ihre Mutter wollte Musiklehrerin werden. Allerdings wurde dann Ro geboren, und beide Eltern trafen Entscheidungen die mehr Stabilität und Sicherheit bieten sollten, gleichzeitig aber auch zu sich kumulierenden negativen Gefühlen beitragen. So ist die Familie in Ros Leben von viel Streit und wenig gegenseitigem Verständnis geprägt.

Eine besondere Rolle in dem Ganzen spielt dann Dolores, der Oktopus. Sie ist ein besonders riesiges Exemplar, das in einem besonders verschmutzten Teil des Pazifiks entdeckt wurde. In diesem Teil führen die Chemikalien im Wasser dazu, dass alle Meerestiere viel größer werden als anderswo. Ros Vater hat damals Dolores mitgebracht und sie lebt seit vielen Jahren in dem Aquarium. Für Ro stellt sie die letzte Verbindung zu ihrem verschwundenen Vater da, von dem sie nicht glauben kann, dass er tot ist. Dolores ist in diesem Sinne symbolisch viel mehr für Ro als ein Tier, das sie versorgt. Hier würden sich sicherlich einige wünschen, dass man noch etwas mehr Tintenfisch im Buch bekommt. Aber mir haben die Szenen mit ihr auf jeden Fall gefallen und ein paar spannende Fakten über die Tiere wurden auch eingebaut.

Am Ende muss Ro sich fragen, ob sie wirklich so weiterleben will, wie sie es gerade tut. Und welche Schritte vielleicht dazu führen können, dass sie mit sich und ihrem Leben zufriedener wird. Dazu muss sie bestimmte Dinge auch gehen lassen und sich eingestehen. Besonders schön fand ich, dass ihre Kindheitsfreundin am Ende dabei eine große Rolle spielt.

Alles in allem hat mir das Buch gut gefallen. Es werden viele tragische, aber wichtige Themen angesprochen. Ich mochte Ro als Hauptfigur, zumal sie auch an einer ähnlichen Stelle im Leben ist wie ich. Die Familiengeschichte war spannend und traurig, und hat sehr gut erläutert, warum Ro ist, wie sie ist. Und auch wenn ich gern etwas mehr Dolores gesehen hätte, fand ich es schön, dass hier mal ein etwas anderes Tier im Zentrum steht als die klassische Auswahl an Säugetieren.

Habt ihr schon Oktopus-Bücher gelesen? Oder findet ihr sie eher gruslig? Ich bin ein großer Fan.

Bis bald,
Eure Kitty Retro





Meine Bewertung: