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Sonntag, 7. März 2021

Amon - Mein Großvater hätte mich erschossen


Hallo meine Memoiren-Freunde,

heute soll es um ein Buch gehen, das ich in der Bibliothek entdeckt habe. Das Buch war mir bereits bekannt, weil ich es in Youtube-Videos gesehen hatte, und es klang interessant. Außerdem schien es mir ein sehr schnelles Leseerlebnis zu sein, was manchmal ja ganz nett ist.

Die Fakten:

  • Autor: Jennifer Teege, Nikola Sellmair
  • Titel: Amon- mein Großvater hätte mich erschossen
  • Erschienen: 2013
  • Verlag: Rowohlt Verlag
  • Seiten: 266
  • Preis: 10,oo Euro
  • Klappentext: "Ihre Haut ist dunkel, sie hat in Israel studiert. Weil sie im Kinderheim und bei einer Adoptivfamilie aufwuchs, entdeckt Jennifer Teege erst mit 38 Jahren durch einen Zufall ihr Familiengeheimnis: Sie ist die Enkelin des KZ-Kommandanten Amon Göth, bekannt aus Stephen Spielbergs Film Schindlers Liste. "Mein Großvater war ein Psychopath, ein Sadist. Er verkörpert all das, was ich ablehne: Was muss das für ein Mensch sein, dem es Freude macht, andere Menschen möglichst einfallsreich zu quälen und zu töten? Ich finde keine Erklärung dafür, warum er so wurde. Als Kind schien er noch ganz normal", sagt Jennifer Teege."

Zur Handlung: Mit 38 Jahren führt Jennifer Teege ein recht normales Leben. Die Kinder sind gerade außer Haus, der Mann auf Arbeit, als sie in der Bibliothek ein Buch durch Zufall aus dem Regal zieht: der Buchrücken war auffällig. Das Buch enthält die Lebensgeschichte ihrer Mutter, die Jennifer Teege nur aus der frühen Kindheit kennt. Sie wurde adoptiert und hat dann den Kontakt zur leiblichen Familie verloren. Was Jennifer Teege nicht wusste: ihre Mutter ist die Tochter von Amon Göth, einem wichtigen Mann im Nationalsozialismus.

Für sie bricht eine Welt zusammen: wie kann man von so einem Monster abstammen? Sie braucht lange Zeit, um sich mit dieser neuen Lebensrealität zu versöhnen. Sie besucht die Gegend des ehemaligen KZ und besichtigt die alte Villa, in der ihre Großeltern direkt neben dem KZ lebten. Vor allem kämpft sie mit der Frage, wie viel ihre Großmutter, zu der sie als Kind ein inniges Verhältnis hatte, von all dem wusste und mitbekam. Aber auch ihr eigenes Leben steht so entgegen dem, was ihr Großvater tat, dass es Jahre dauert, bis Jennifer Teege wieder mit sich im Reinen ist.

Ich fand dieses Buch sehr interessant. Bisher habe ich von noch keinem Nachfahren von Nazi-Größen gelesen, obwohl ich nun gelernt habe, dass es da allerhand Bücher gibt. Das besondere an diesem Buch hier ist Jennifer Teege als Person. Nicht nur was sie 38 Jahre ihres Lebens völlig ahnungslos, woher sie stammt, sie ist auch die Tochter eines Nigerianers und hat in Israel studiert, dort mit Holocaust-Überlebenden gearbeitet und zwei sehr gute jüdische Freundinnen. Damit könnte die Kluft zwischen ihrem Leben und ihrer Familiengeschichte wohl nicht größer sein.

Im ersten Teil des Buches geht es um diese Familiengeschichte, um den Großvater Amon Göth und die Großmutter, die seine Geliebte war und später seinen Namen annahm und sein Foto immer über ihrem Bett hingen hatte. Um den Schock zu verwinden reist Jennifer Teege nach Polen und besucht die Orte, die ihr Großvater einst beherrschte. Sie ist zwar schon sehr belesen zum Thema, liest nun aber noch mehr. Dieser Teil hat mir inhaltlich am besten gefallen, denn das würde man beim Titel des Buchs auch erwarten.

Danach geht es um die Mutter, deren Leben durch ihre Herkunft fast völlig bestimmt wurde. Dabei geht es dann auch viel um das Aufwachsen von Jennifer Teege als Kind im Kinderheim, als Pflegekind und schließlich als Adoptivkind. Hier bewegen wir uns dann weg von den Themen des Holocaust. Ich fand auch diese Themen interessant, allerdings verliert sich so ein bisschen der Fokus in diesem Teil, und es wird recht breit Verschiedenes diskutiert.

Am Ende geht es dann um die israelischen Freundinnen und wie diese schließlich auf die Enthüllung ihre Geheimnisses reagieren. Auch die Kapitel über das Studium in Israel und, welche Probleme es in diesem Land gibt, waren spannend, aber man hatte das Gefühl, man liest inzwischen eigentlich ein anderes Buch als am Anfang. Schließlich geht es dann im letzten Teil noch einmal zurück nach Polen, dadurch schließt sich der Kreis.

Stilistisch ist das Buch in Teile getrennt, die Jennifer Teege berichtartig in der ersten Person schreibt, und Teile, die Nikola Sellmair journalistisch über Jennifer Teege, die anderen Personen, die im Buch vorkommen, und einige Querverweise und Hintergrundwissen hinzufügt. Das fand ich gut gemacht, denn so bekommt man eher die Gedanken und Gefühle von Jennifer Teege, aber gleichzeitig wird das mit Hintergrundwissen ergänzt, damit man es besser einordnen kann. Im Buch enthalten sind auch ein paar Bilder, was ich in Memoiren immer schön finde.

Mein größter Kritikpunkt an diesem Buch betrifft, dass der Titel des Buches natürlich sehr dramatisiert ist und nicht ganz das Buch wiederspiegelt. Denn in dem Buch geht es nicht hauptsächlich um Amon Göth, den Titelgeber. Und das fand ich auch gut so, aber es verspricht eben etwas, was dann so nicht kommt. Es geht viel breiter um Familie, und dabei auch im schwierige Themen wie Kinderheime und Adoption. Dabei wird vor allem das Leben von Jennifer Teege beleuchtet - klar, Memoire - und das viel breiter als nur ihre Herkunft. Dadurch kommt es einem beim Lesen aber vor, als würde man sich mit jedem Kapitel immer weiter vom angekündigten Thema entfernen.

Ansonsten ist das Buch sehr schnell und leicht zu lesen, es gibt einen spannenden Einblick in das Leben einer sehr besonderen Frau, in ihre Familiengeschichte und die Traumata, die damit durch die Generationen weitergegeben wurden. Es war interessant, ihren Lebensentwurf zu sehen, und wie dies durch das Familiengeheimnis erschüttert wird. Jennifer Teege ist dabei sympathisch, aber nicht perfekt. Mir hat das Buch insgesamt daher gut gefallen.

Habt ihr ähnliche Leseempfehlungen für Memoiren?

Bis bald,

Eure Kitty Retro




Meine Bewertung:



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