Mein liebsten Leser,
heute möchte ich euch vom Schicksal der Justine
berichten, vom Missgeschick der Tugend. Bevor ich es vergesse, sind hier die
Daten:
- Autor: Marquis de Sade
- Titel: Justine oder vom Mißgeschick der Tugend
- Verlag: Ullstein Buchverlage GmbH & Co. KG
- Erschienen 2005 (Original: 1791)
- Seiten: 172
- Preis: kostenlos für den Kindle oder für wenig Cent gebraucht bei Amazon
Justine ist eine von zwei Schwester, die, wie ihr im
Klappentext schon lesen konntet, unterschiedlicher nicht sein können. Juliette,
die andere Schwester, lernt nach dem Tod ihrer Eltern schnell, wie sie im
Frankreich des 18. Jahrhunderts zurechtkommt. Justine dagegen ist eine treue
Seele, die an Gerechtigkeit, Vorsehung und Gott glaubt. Sie will ihr Leben
sittsam durchstehen. Mit dem wenigen Geld, dass sie erhält, sucht sie also ihr
Glück.
Doch von Anfang an gerät sie immer wieder an die
Falschen. Ein geiziger Mann bezichtigt sie des Raubes, obwohl dieser nur
inszeniert war als Rache dafür, dass Justine für ihn nicht stehlen wollte. Eine
Horde Verbrecher hilft ihr bei der Flucht aus dem Gefängnis und will sie dann
vergewaltigen, weil sie die Mithilfe an weiteren Verbrechen verweigert. So geht
es weiter, als sie im Wald zwei Männer beobachtet, die sich unsittlich
verhalten. Sie wird dabei entdeckt und muss zur Strafe für die Mutter des einen
arbeiten. Diese soll schließlich ermordet werden, Justine weigert sich
allerdings wieder und wird am Ende dieses Mordes bezichtigt und muss wieder
fliehen.
Jedes Mal, wenn sich das Blatt zu wenden scheint,
erwischt es Justine nur noch schlimmer. Die Geschichte ist eine Erzählung aus
ihrer Sicht, und obwohl durchaus auch sexuelle Praktiken erwähnt werden, würde
Justine diese niemals offen aussprechen. Deswegen sind viele, die aufgrund des
Rufs vom Marquis erwarten, dass es heiß hergeht in diesem Buch, eher
enttäuscht. Allerdings hat dieses Buch einige Qualitäten, die ich euch nicht
vorenthalten mag.
Eingebettet ist die Geschichte in ein Gespräch, dass
Justine und Juliette führen. Allerdings haben sie sich zu diesem Zeitpunkt
viele Jahre nicht gesehen und sie erkennen sich nicht, haben aber ein
merkwürdiges Gefühl der Verbundenheit. In einem Gasthaus treffen sich die
beiden, Justine als Gefangene und zum Tode Verurteilte, Juliette als Frau eines
reichen Herrn, selbst wunderschön und reich. Justine wird aufgefordert, ihre
Geschichte zu erzählen. Sie gibt sich jedoch als Sophie aus, um ihre wahre
Herkunft zu verschleiern.
Das Buch sollte vorrangig philosophisch betrachtet
werden. Sicher muss man eine gewisse Disposition für sadistische und
masochistische Verhaltensweisen haben, denn sonst ist das Buch wahrscheinlich
ein bisschen… schwer zu verdauen. Wenn man allerdings problemlos von Schlägen
und Peitschen lesen kann, dann kann man das Buch auch auf den Grund
durchsteigen. Marquis de Sade war sicher nicht einfach ein Perverser, der
Geschichten geschrieben hat. Und wenn er es war, so hat er das doch zumindest in
diesem Buch fabelhaft versteckt. Stattdessen sehe ich vor allem eine Kritik am
gesellschaftlichen Wandel des 18. Jahrhunderts, der in Frankreich von Statten
ging.
Angeklagt werden Libertins, Korruption und allgemein die
Sittlosigkeit, die sich großer Beliebtheit erfreut. Das Buch endet so auch mit
einem Appell, dass man erkennen soll, dass das wahre Glück nur im Herzen der
Tugend liegt. So erkennt auch Juliette am Ende ihre Verfehlungen und,
aufgerüttelt durch die Geschichte ihrer Schwester, tritt ins Kloster ein.
Man kann dieses Buch natürlich sehen, wie man will. Ich
finde es ungewöhnlich, spannend, anregend (aber eben nur, wenn man so etwas gut
findet) und tiefgründig. Wie viel man dann am Ende selbst an Bedeutung
hineininterpretiert, bleibt jedem überlassen. Ich möchte es aber nicht nur als
sado-masochistische Geschichte sehen, sondern als ein Werk, dass man gelesen
haben sollte.
Obwohl ich die anderen Bücher de Sades noch nicht
ausführlich kenne, bin ich doch der Meinung, dieses ist das wichtigste. Vielleicht
ändere ich diese Meinung irgendwann noch.
Empfehlen kann ich es vor allem den Menschen, die eher
masochistisch eingestellt sind, und Menschen, die auch zwischen den Zeilen
lesen können.
Bis bald,
Kitty Retro
Meine Bewertung:
- Dieses Buch ist Buchstabe J meiner ABC-Challenge-Teilnahme. -
Liebe Kitty,
AntwortenLöschenvielen Dank für diese schöne Rezi, auf die ich mich schon sehr gefreut hatte.
Wenn man, wie ich, die 120 Tage von Sodom bereits gelesen hat, kommt man bei deinen Worten fast nicht drum herum, zu denken, dass sich der Marquis beinahe an Justines Pech erfreut (auch in den 120 Tagen werden die treuen, sittsamen Charaktere bestraft, die ruchlosen belohnt).
Ob man darin eine Gesellschaftskritik oder einfach nur eine Eigenart von de Sade sieht, sei mal dahingestellt :D
Ich finde es toll, dass ihr fernab vom Mainstream rezensiert! Weiter so!
Liebste Grüße
Prusse
Vielen Dank. Ich hab das Buch hier stehen, aber ich hab es noch nie geschafft, es zu lesen. Allerdings stimme ich dir natürlich zu, dass er sicher dieses Unglück auch ein bisschen genießt. Und die letzten Worte sind sicher auch mit einer gewissen Ironie geschrieben. Dennoch denke ich, dass die Gesellschaftskritik da ist. Wahrscheinlich ist sie heute nur schwerer zu verstehen, da wir ja in gänzlich anderen Zeiten leben. Gerade Korruption kommt bei ihm ja aber sehr schlecht weg. Auch das Justizsystem. Bemerkenswert ist auch, dass eine Figur, die Justine maßgeblich hilft, auf einer wahren Person beruht, die der Marquis getroffen hatte, der eben dieses korrupte System nicht duldete.
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