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Montag, 1. April 2024

Die Erben des Medicus


Hallo meine Historienhasen,

vielleicht erinnert ihr euch noch an den Medicus, von dem ich euch auch die Verfilmung vor vielen Jahren vorgestellt hatte. Und dann hatte ich auch vom Folgebuch Der Schamane berichtet. Heute kommen wir mit sehr viel Verzögerung zum letzten Band dieser Trilogie, die der Arztfamilie der Coles folgt. Ihr fragt euch vielleicht, was hat da so lange gedauert? Nun ja, das Cover des Buches in der Ausgabe, die meine Mama mir geliehen hat, ist wirklich kein Hingucker, und Ärzte in den 90ern in den USA hat jetzt auch nicht mein Interesse geweckt, sondern mich eher an die vielen TV-Sendungen aus der Zeit erinnert. Aber jetzt ist es endlich so weit, zu Ostern bekommt Mutti ihre Ausgabe zurück!

Die Fakten:

  • Autor: Noah Gordon
  • Übersetzung: Klaus Berr
  • Titel: Die Erben des Medicus (eng. Matters of Choice)
  • Reihe: Familie Cole 3
  • Erschienen: 1997 (Original: 1995)
  • Verlag: Knaur
  • Seiten: 402
  • Preis: 11,00 Euro
  • Klappentext: "Eine zerbröckelnde Ehe und die Fragwürdigkeit einer Karriere im Getriebe einer Großklinik sorgen für eine große Wende in Dr. Roberta Coles Leben. Sie beschließt, der Apparatemedizin und dem politischen Hickhack am Hospital in Boston den Rücken zu kehren und als Landärztin in den Berkshire Hills den direkten menschlichen Kontakt zu den Patienten zu suchen. Das bedeutet Verzicht auf Privilegien, Komfort und Sicherheit, bedeutet aber auch Zugang zu einer unverfälschten Natur, zum ewigen Kreislauf der Jahreszeiten, zu einfachen Menschen und ihren Nöten."

Zur Handlung: RJ Cole ist eine Ärztin Mitte 40, deren Ehe schon lange abgekühlt ist und deren Job ihr kein Vergnügen bringt. Als der Mann in einen beruflichen Fauxpas verstrickt wird und für RJ eine wichtige Beförderung im Raum steht, beschließen die beiden die Scheidung. Doch da RJ Schwangerschaftsabbrüche in einer Abtreibungsklinik vornimmt, gerät ihr Name in schlechte Presse. Dies gefährdet nicht nur ihre Beförderung, die an einen männlichen Kollegen geht, sondern auch ihre Sicherheit, sodass RJ Boston verlässt und aufs Land zieht.

Dort angekommen stellt sie sich den Herausforderungen, sich eine neue Praxis und ein neues Leben aufzubauen. Das wird erleichtert durch Menschen, die sie in dem Örtchen trifft, allen voran ihrer neuen Freundin Toby, die ihre Sprechstundenhilfe wird, und ihrem Nachbar David, mit dem nach und nach Gefühle entstehen. Auch Davids Tochter Sarah wird für RJ schnell ein emotionaler Anker. Doch dann geht alles schief.

Ok, ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber aus dem englischen Titel kann man das Thema dieses Buches eigentlich gut ablesen. Matters of Choice - hier wird auf die Abtreibungsdebatte in den USA verwiesen. Und uff, so ein Buch jetzt zu lesen, dass die Zustände in den 90ern kritisiert, wo wir doch wissen, wo wir im Jahr 2024 damit stehen, das war echt hart. Das hat auch nicht viel Spaß gemacht, sondern mich daran erinnert, wie leicht wir Frauen unsere Rechte wieder verlieren können, wenn genug Männer mit genug Geld das wollen. Damit war es zumindest ein gutes Buch, um es im Women's History Month zu lesen. Vielleicht nochmal ganz deutlich: ich bin für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch für Frauen, und dieses Buch ist es auch. Wenn euch das nicht passt, braucht ihr weder diesen Post noch das Buch zu lesen - oder ihr wollt euch umstimmen lassen.

Als Hauptfigur folgen wir das erste Mal in dieser Reihe einer Frau. Damit will der Autor vermutlich auch zeigen, dass in den 80ern und 90ern Frauen entscheidende Rechte gewonnen haben. Allerdings stellt sich damit das ewige Problem ein: kann ein Mann gute Frauen schreiben? Nun ja, ich habe schon deutlich Schlimmeres gelesen, aber an einigen Stellen kam der Male Gaze definitiv durch. Also erwartet hier keine Wunder. Dennoch mochte ich RJ, denn sie ist eine intelligente Frau, die nicht viel Glück in der Liebe hat, dadurch aber auch mit sich selbst zufrieden sein kann. Sie hat einige wichtige Freundinnen, und eine angespannte, aber respektvolle Beziehung zu ihrem Vater. Sie hat ein bisschen damit zu kämpfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, weil sie selbst Erfahrungen in ihrer Vergangenheit hat, die da kollidieren, aber sie sieht es als Recht jeder Frau an, diese Entscheidung treffen zu können. Außerdem findet sie es schrecklich, dass es in den USA so viele Menschen ohne Krankenversicherung gibt, und sie will diesen helfen. Sie ist damit eher progressiv eingestellt, und wählt auch Bill Clinton (Gott, ich musste da erstmal googlen, wann er Präsident war). Da der Roman an einigen Stellen recht politisch wird, war mir das nur recht, aber es gibt sicher Leser, die da Anstoß finden.

Neben RJ haben wir einige Charaktere, die aber meist eher an der Seitenlinie bleiben. Sonst erhalten wir nur noch mehr Einblick in David, ihren Nachbarn. Ihn fand ich leider eher anstrengend. Er hat auch eine traumatische Vergangenheit und hat diese stets mit Alkohol bewältigt. Er ist zwar trocken, aber kämpft damit. In entscheidenden Momenten war er mir dann aber zu schwach als Love Interest, zu sehr nur auf sich selber fokussiert. Spannend fand ich aber die Aspekte zum Judentum, die durch seinen Charakter in die Geschichte einfließen. Der Autor selbst war Jude, und diesen Aspekt fand ich auch schon im Medicus selbst spannend.

Durch RJs Umgebung haben wir zwei sehr unterschiedliche Welten. Der erste Teil spielt in Boston und wir sehen ihren stressigen Job, der kaum Belohnung für RJ abwirft, aber immer noch mehr fordert. Dann wendet sich das Setting dem Kleinstadtleben zu. Hier wird teilweise dann romantisiert, im nächsten Augenblick passieren aber Unfälle mit Jagdgewähren, und es wird auch mal betrunken auf RJ geschossen, als diese zu einer Patientin kommt. Dennoch überwiegt das romantische Gefühl, was ich teilweise ein bisschen viel fand. Ich bin aber auch Stadtmensch.

Politisch geht es viel um zwei Themen: Krankenversicherung und Abtreibungen. Es liest sich deutlich heraus, was der Autor und damit auch RJ darüber denken. Dabei liest es sich auch sehr gut recherchiert. Das schätze ich neben dem sehr flüssigen Schreibstil besonders an Noah Gordon. Seine Bücher waren bis jetzt alle sehr gut recherchiert, und bringen einem auch neue Dinge bei. Er versucht dabei, die Themen auch möglichst facettenreich zu betrachten, was für mich aber gerade beim Abtreibungsthema nicht gelungen ist. In der Mitte des Buches gibt es da einen Einschnitt, wenn ein Eingriff schief geht, und das hätte es so für mich nicht gebraucht. Aber es ist ein schwieriges Thema. Was mir dabei vor allem immer fehlt, ist mal die Darstellung von Schwangerschaftabbrüchen, die nicht bei Teenagermädchen oder Karrierefrauen durchgeführt werden. Es gibt ja so viele Gründe, die mitunter zahlenmäßig auch häufiger sind, aber ihren Weg so selten in fiktionale Werke finden. (In dem Zusammenhang finde ich es gut, dass die amerikanischen Medien gerade viele solcher Fälle vorstellen.)

Was wir vor allem aber auch sehen, ist die extreme Gefährdung, Belästigung und Verfolgung, die Ärzte, die diese Eingriffe vornehmen, erleben müssen. Es wird auch auf verschiedene Brandanschläge und Morde verwiesen, die in diesem Zeitraum in den USA geschehen sind, zum Beispiel an David Gunn. Diese Gefahr eines solchen politischen Klimas ist absolut spürbar - und seitdem ist alles ja nur noch schlimmer geworden. Die optimistischen Worte, dass durch medikamentöse Abbrüche bald keine Demonstrationen vor Kliniken passieren werden, die ein Charakter hier ausspricht, bleiben einem da echt im Halse stecken. Mich hat das Buch somit auch daran erinnert, wie nicht-sicher wir als Frauen nach wie vor sind, wie schnell uns jemand Gewalt antun kann, weil wir Frauen sind, dass unsere Rechte innerhalb von Sekunden wieder verschwinden können, und dass es vor allem Frauen of Color und Trans-Frauen sind, die meist den höchsten Preis bezahlen. Und da habe ich dann auch mal eine Nacht nicht gut geschlafen bei diesen Gedanken.

Der größte Schwachpunkt für mich ist letztlich die Handlung. Was dann so tagein tagaus mit RJ passiert, das hat mich teilweise absolut gelangweilt. Es gibt weite Strecken, da passiert eigentlich gar nichts, dann wieder ein paar Kapitel höchste Anspannung, wo sie bedroht und verfolgt wird. Auch das Ende war nicht wirklich meins, aber das ist Geschmackssache.

Alles in allem kann ich das Buch heute nicht wirklich empfehlen. Es gibt sicher bessere Werke - fiktional und non-fiktional - zu diesen Themen, die aktueller sind und mehr dem Zeitgeist entsprechen. Wenn euch aber die Situation in den 90ern interessiert, ist es vielleicht gut. Ich stimme mit den gesundheitspolitischen Ansichten in diesem Buch überein, deswegen bewerte ich es gut. Ich bin auch nicht böse, dass ich es gelesen habe. Aber umfassend mein Leben bereichert hat es auch nicht.

Bis bald,
Eure Kitty Retro





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