Hallo meine Lieblingsleser,
heute kommen wir zu einem Buch, das nicht fiktional ist, sondern uns etwas über die Welt, in der wir leben, beibringen soll. Im Fokus steht dabei das Konzept von Asexualität, das viele als den Buchstaben A bei LGBTQIA+ kennen. Das Buch geht allerdings darüber hinaus uns zu erklären, was Asexualität ist, und zu beschreiben, mit welchen Problemen asexuelle Menschen konfrontiert sind, und präsentiert uns die Idee von erzwungener Sexualität, die uns alle glauben lässt, dass Sex in bestimmten Situationen einfach sein muss.
Die Fakten:
- Autor: Angela Chen
- Titel: ACE - What Asexuality Reveals About Desire, Society, and the Meaning of Sex
- Erschienen: 2020
- Verlag: Beacon Press
- Seiten: 188
- Preis: 27,00 Euro (gebunden)
- Klappentext: "Many people who hear about asexuality consider it an interesting piece of trivia: it's a little-known sexual orientation, some people identify as asexual, and they should be accepted. Next. After all, if you're not asexual, what more is there to learn? Plenty, especially because misconceptions mean that some people are asexual without knowing it. In every place that sexuality touches society, asexuality does too, and the issues that asexuals struggle with are the same issues that people of every orientation are likely to confront. How much sexual desire is a person supposed to have? What does the amount of desire we experience mean about our politics, personalities, and prospects of relationships? What should it mean? The dividing line between romance and friendship seems clear, but what is the difference when you eliminate sex? How do you work through a mismatch of sexual desire in relationships? The questions may be near universal, but the answers look different from the asexual, or ace, perspective. Aces have had to create our own way of looking at the world, offering new perspectives on identity and invisible inequalities."
Dieses Buch beschäftigt sich also einerseits damit, was Asexualität überhaupt ist und mit welchen Probleme es verbunden sein kann, andererseits will es aber auch darüber hinausgehen und auch für Personen, die nicht asexuell sind, anschlussfähig sein. Dies ist sehr ambitioniert, und das Buch hat wirklich sehr viele wichtige und gute Beiträge zur gesellschaftlichen Debatte über Sexualität und normative Zwänge in unserer (westlichen) Gesellschaft. Dennoch würde ich sagen, dass das Buch es nicht immer schafft, diese Linie zu laufen.
Das ist mir aufgefallen, als ich mir die Frage gestellt habe, ob dieses Buch nun für nicht-asexuelle Leute, sich als asexuell identifizierende Leute oder Leute, die asexuell sind aber es nicht wissen, geschrieben ist. Und irgendwie scheint es fast für alle zu sein. Die ersten beiden Kapitel waren für mich eher langweilig, denn hier beschreibt die Autorin, wie sie selber zu Asexualität gefunden hat. Daneben wird auch historisch beschrieben, wie die Bewegung dahinter begonnen hat (natürlich online). Ich glaube, das ist vor allem für asexuelle Menschen spannend, vor allem für die, die vielleicht noch nicht genau wissen, ob sie es sind, und wissen möchten, wie andere Leute sich "sicher" sein konnten.
Danach geht das Buch aber eher in eine gesellschaftliche Sichtweise, für die ich sehr offen war. Dabei wird beleuchtet, wie Asexualität mit Gender (also dem sozialen Geschlecht), Race (oder der ethnischen Herkunft) und Behinderung zusammenhängt, welche Schwierigkeiten sich in diesen Schnittstellen ergeben, und warum dies alles historisch-gesellschaftlich so geprägt ist. Diese Kapitel fand ich alle sehr interessant, wobei man herausliest, dass die Autorin als Frau und als Person mit Migrationshintergrund/ Person of Color mit diesen Intersektionen mehr eigene Erfahrung hat, während die Perspektive von Personen mit Behinderungen eher sehr wenig Platz im Buch einnimmt. Dennoch sind es unglaublich spannende Diskussionen, die da aufgemacht werden, und alle (meiner Meinung nach) wichtigen Argumente werden zumindest angeschnitten.
Der dritte Teil des Buches wirkte auf mich dann sehr zusammengewürfelt, was die Überschrift "Others" vielleicht schon andeutet. Zunächst geht es dann um das Konzept von Aromantik. Der Unterschied besteht in dem Gefühl oder Verlangen, das die Personen nicht haben: Verlangen nach Sex vs. Verlangen nach romantischer Liebe. Ich fand das Kapitel interessant, aber im Gesamtkontext hat es auch ein völlig neues Fass aufgemacht, indem beispielsweise die Interviewten angesprochen haben, dass sie lange Angst hatten, dass sie Psychopathen sind, weil sie keine romantische Liebe empfinden.
Danach widmet sich das Buch auch Fragen von Consent, also der freiwilligen Einwilligung in sexuelle Handlungen. Dabei werden verschiedene Arten von Consent unterschieden, und es geht darum, dass es keine binäre Trennung von Vergewaltigung und Sex gibt, sondern eine Vergewaltigung eine (gewaltsame) Form von Sex ist. Auch hier fand ich alles Gesagte sehr interessant, und auch relevant für Personen, die nicht asexuell sind. Inwiefern eine freiwillige Einwilligung in unserer heutigen Gesellschaft überhaupt möglich ist (vor allem für Personen in Minoritätsgruppen), ist eine der wichtigsten Fragen unserer Gesellschaft. Das Bild wird also einerseits sehr groß, andererseits scheint es hier aber fast einschränkend, dass Angela Chen dem Thema Asexualität verhaftet bleibt.
Am Ende bekommen wir dann auch nochmal einen besonderen Fall detailliert dargestellt: Anna. Während dieses Kapitel die verschiedenen Intersektionen mit Religion und Gender noch einmal gut verdeutlicht, so hat sich mir nicht erschlossen, wie es ins Gesamtbild passt. Am Ende gibt es noch einen Ausblick, was die Bewegung hinter der Orientierung (Aro) Ace für die Gesellschaft noch bringen kann, was sie aber auch selbst tun muss, um inklusiv für alle Ace-Personen zu sein, und wie es insgesamt weitergehen kann. Dabei plädiert die Autorin im gesamten letzten Teil des Buches auch dafür, Beziehungen neu zu denken und uns von klassischen "Rolltreppen" vom Händchenhalten zum Sex zu lösen.
Inhaltlich finde ich das Buch absolut gelungen und stimme den Einschätzungen der Autorin absolut zu. Ich finde, dass normativ eingeschränkte Konzepte von "der Beziehung", "der Ehe" und "dem Sex" keinem helfen. Ich stimme auch völlig zu, dass Kommunikation immer und überall die Lösung ist. Und ich habe von diesem Buch viel gelernt. Dennoch bleibt mein Kritikpunkt, dass das Buch vielleicht doch ein bisschen zu viel anpackt, und dann auch im Adressaten uneindeutig bleibt. Trotzdem bin ich überzeugt, dass jeder etwas von diesem Buch lernen kann, weswegen ich es euch wärmstens ans Herz lege.
Habt ihr euch schon mal mit der Idee von Asexualität/Aromantik beschäftigt oder hinterfragt, ob es wirklich so "normal" ist, was wir von Sex in Beziehungen erwarten?
Bis bald,
Eure Kitty Retro
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