Hallo meine Lieblingsleser,
die Zeit verfliegt und ich komme mit Lesen gar nicht hinterher, weil ich gerade am Ende meiner Doktorarbeit schreibe. Daher dachte ich, ich mache es mir leicht und lese mal etwas Kurzes. Dieses Buch hatte ich in der Bibliothek entdeckt, und ich hatte Gutes darüber gehört. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Die Fakten:
- Autor: Caleb Azumah Nelson
- Titel: Open Water (dts. Freischwimmen)
- Erschienen: 2021
- Verlag: Black Cat
- Seiten: 164
- Preis: 8,59 Euro
- Klappentext: "In a crowded London pub, two young people meet. Both are Black British, both won scholarships to private schools where they struggled to belong, both are now artists - he a photographer, she a dancer - and both are trying to make their mark in a world that by turns celebrates and jects them. Tentatively, tenderly, they fall in love. But two people who seem destined to be together can still be torn apart by fear and violence, and over the course of a year they find their relationship tested by forces beyond their control."
Zur Handlung: Boy meets girl in eine Pub auf einer Party. Die beiden scheinen füreinander geschaffen zu sein, auch wenn sie eigentlich gerade in einer Partnerschaft ist. Er kann sie allerdings nicht vergessen und nach einiger Zeit treffen sie sich wieder und es bildet sich eine zaghafte Freundschaft, die dann irgendwann mehr wird. Doch das Leben hat andere Pläne.
Sie studiert in Dublin und er lebt in London. Einen traumhaften Sommer verbringen sie zusammen, doch die Distanz zwischen ihnen wächst, vor allem, wenn er mit dem Traumata und Ängsten seiner Existenz als Schwarzer junger Mann in Großbritannien konfrontiert wird und diese Gefühle nicht mir ihr teilen kann oder will.
In diesem Buch geht es ganz und gar nicht um das Was. Klar, wir bekommen hier irgendwie eine Liebesgeschichte ohne Garantie für ein Happy End. Aber ich glaube, wer hier für die Romanze kommt, wird vielleicht enttäuscht. Dieses Buch ist poetisch und wunderschön und rein und bitter und süß. Aber es ist nicht wirklich hier, um eine Geschichte zu erzählen. Stattdessen legt es eine Gefühlswelt offen, die so tief geht, dass man direkt hinein versinkt.
Das Buch ist in der zweiten Person geschrieben, was ich persönlich liebe. Es zieht einen so in die Geschichte hinein, denn es hat etwas Suggestives. Es suggeriert, dass dir diese Dinge passieren, dass du dich verliebst, dass du leidest, dass du glücklich bist, dass du Angst hast. Auf dieser Ebene funktioniert das Buch für mich einfach. Dagegen ist von der Frau aus dem Pub immer von ihr die Rede. Und dann haben wir noch ein kollektives Sie, das am Ende des Buches immer mehr Raum gewinnt.
Wie gesagt, das Buch ist sehr poetisch. Während es am Anfang schon noch ein bisschen Plot dazu gibt, wie die beiden sich treffen, so ist die zweite Hälfte des Buches fast nur noch Gefühl. Und das sind keine positiven Gefühle. Allerdings habe ich bei so einem Schreibstil gerade im Englischen manchmal das Problem, dass ich nicht alles verstehe, was passiert, weil es so unklar formuliert wird. Mir macht das nichts aus, nicht jeden Satz zu verstehen, aber einige von euch mögen das vielleicht nicht.
Um welches Gefühl geht es denn jetzt neben dieser Liebe? Um das Gefühl ein Schwarzer junger Mann in London zu sein. Es geht darum, Angst zu haben, wenn die Blaulicht siehst. Es geht um Gewalt und um den Zufall und die Unberechenbarkeit von allem. Es werden einige Szenen von Rassismus sehr direkt beschrieben. Andere Momente versammeln das geballte Gefühl dieser Erfahrung, sodass man kaum mehr atmen kann. Sie zeigen, wie die rassistische Umgebung diese jungen Männer fast erdrückt. Ich fand diesen Aspekt des Buches perfekt. Es steckt so viel drin in diesem Buch, es macht so viel mit dem Leser. Wirklich grandios.
Nur leider hätte ich die Liebesgeschichte nicht dazu gebraucht. Man merkt deutlich, dass der Autor aus meiner Generation stammt, so wie er die Beziehung beschreibt. Ich habe da durchaus auch Anknüpfungspunkte gefunden, aber ich lese ja generell eher ungern über romantische Beziehungen. Letztlich ist für mich aber vor allem entscheidend, wie blass die Frau in diesem Buch bleibt. Wir bekommen so wenig von ihr zu sehen, dass ich wünschte, sie wäre gar nicht dagewesen. Denn so fühle ich einfach diese Leere, wo ihre Persönlichkeit sein sollte. Das fand ich schade. Auch am Ende wird das irgendwie eher so fallen gelassen. Die Bedeutung der Romanze ist mir nicht ganz klar geworden.
Das Cover finde ich übrigens wundervoll, es ist so schön und passt perfekt zum Buch. Allerdings hat meine Ausgabe so ungleich geschnittete Seiten und das hasse ich beim Lesen, weil ich einfach nicht ordentlich blättern kann.
Alles in allem kann ich das Buch aber nur empfehlen. Ich weiß nicht, wie gut die Übersetzung ist, aber es ist auf jeden Fall eine erschienen, wenn ihr das lieber mögt. Es gibt also keine Ausrede, diesem Buch nicht eine Chance zu geben. Es lässt sich sehr schnell lesen, weil man so hineinfallen kann in den wundervollen Schreibstil, und ich habe wirklich noch einmal viel gelernt bei dieser Lektüre. Vieles, was mit Unterdrückung zu hat, werde ich nie verstehen können, doch solch tief gefühlte Bücher wie dieses vermitteln zumindest einen Eindruck.
Ich hoffe, ihr gebt dem Buch eine Chance.
Bis bald,
Eure Kitty Retro
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