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Sonntag, 20. März 2022

Pachinko


Hallo meine Historienleser,

bald erwartet uns eine neue Buchverfilmung in Serienform, die richtig gut aussieht. Allerdings habe ich mir dieses Buch ganz unabhängig davon zu Weihnachten gewünscht - ich bin nicht immer gut informiert über solche Serien. Aber es passt damit ja gleich gut, und ich habe mich sehr auf das Buch gefreut. Außerdem habe ich es zusammen mit einer Freundin gelesen, was eine ganz tolle Erfahrung war, denn über dieses Buch kann man sehr gut sprechen und diskutieren.

Die Fakten: 

  • Autor: Min Jin Lee
  • Titel: Pachinko (dts Ein einfaches Leben)
  • Erschienen: 2017
  • Verlag: Head of Zeus Ltd
  • Seiten: 531
  • Preis: 14,39 Euro
  • Klappentext: "Teenaged Sunja, the adored daughter of a crippled fisherman, falls for a wealthy yakuza. He promises her the world, but when she discovers she is pregnant - and that her lover is married - she refuses to be bought. Facing ruin, she accepts an offer of marriage from a gentle minister passing through on his way to Japan. Following a man she barely knows to a hostile country where she has no friends Sunja will be forced to make some difficult choices. Her decisions will echo through the decades."

Zur Handlung: Dieses Buch umfasst insgesamt fünf Generationen einer Familie aus Korea, die in der dritten Generation in Form von Sunja nach Japan auswandert. Sunjas Großeltern haben eine Art Herberge auf einer Insel in der Nähe von Busan. Sunjas Vater hat eine Behinderung und daher sind seine Eltern überrascht, als eine Heiratsvermittlerin auf sie zukommt und ihm eine Frau anbiete. Sunja wächst dann sehr geliebt von ihrem Vater auf, doch er verstirbt früh.

Das Glück von Sunja und ihrer Mutter, die eine sehr gute Köchin ist, ist, dass sie die Herberge weiterhin betreiben können. Während Sunjas Mutter sich um die Gäste kümmert, ist es Sunjas Aufgabe, auf dem Markt die nötigen Lebensmittel zu kaufen. Auf diesem Markt begegnet sie eines Tages Hansu, der sich sehr viel Mühe gibt mit ihr bekannt gemacht zu werden. Aufgrund seines Auftretens und seiner Selbstsicherheit verfällt Sunja ihm schließlich, was ihr Leben und das ihrer Kinder und Enkel für immer verändern wird...

Es gibt so viel Großartiges über dieses Buch zu sagen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Historisch beginnt das Buch um 1910 und endet 1989, es umfasst also fast ein ganzes Jahrhundert. Dieses Jahrhundert war für Korea vor allem durch die Besetzung durch Japan und nach dem zweiten Weltkrieg durch den Kalten Krieg geprägt. Anders als Deutschland stand es nicht auf der Angreiferseite des zweiten Weltkrieg, wurde aber trotzdem durch die Siegermächte in Nord und Süd geteilt - und anders als Deutschland gibt es bis heute keine Wiedervereinigung der Länder. Ich denke, dass es in Deutschland viele Leute gibt, die die Geschichte von Korea wenig bis gar nicht kennen, denn in der Schule hatte ich dazu zumindest nichts gelernt. Dieses Buch gibt uns zumindest einen kleinen Einblick in diese sehr tragische Geschichte, wenn auch von der fernen Küste Japans.

Japan und Korea vereint dabei ein sehr schwieriges Verhältnis. Nachdem Japan Korea 1910 als Kolonie erklärt hat, werden hohe Steuern erhoben, die es für Koreaner im eigenen Land immer schwieriger machen zu überleben. Selbst der koreanische Adel muss nach und nach sein Land verkaufen, um die Steuern zu zahlen. Daher verlassen viele Koreaner ihre Heimat, um in japanischen Slums zu leben, besseres Geld zu verdienen und eventuell etwas an die Familie zurückzuschicken zu können. Mit Sunja machen wir genau diese Reise: weg von ihrer Heimat, der kleinen koreanischen Insel, nach Osaka, wo sie sieht, in welchen Umständen Koreaner leben müssen. Für mich waren das unglaublich einprägsame Szenen, die zeigen, was passiert, wenn wir andere Menschen als nicht "ganz menschlich" wahrnehmen und ihnen kein gleichgestelltes Leben erlauben. 

Neben diesen historischen Ereignissen, die natürlich auch den zweiten Weltkrieg, die Atombomben und schließlich den kalten Krieg und die neue Nähe zu den USA umspannen, verfolgen wir aber vor allem Sunjas Leben. Sunja als Hauptfigur habe ich geliebt. Geboren als Tochter, die aufrichtig von ihrem Vater geliebt wird, der lange Zeit dachte, dass er nie eine Frau und ein Kind haben kann, entwickelt sie ein gutes Gespür für sich selbst und die Weise, wie sie geliebt werden will. In Korea ist es nicht üblich, dass Eltern ihren Kindern ihre bedingungslose Liebe so zeigen, aber sie macht Sunja sehr einzigartig.

Sunja ist dabei sehr fleißig und respektvoll. Sie hilft ihrer Mutter und ist auch durch eine gewisse Tugendhaftigkeit ausgezeichnet. Doch als Hansu ihr Avancen macht, kann sie irgendwann diesem aufregenden, offensichtlich wohlhabenden und attraktiven Mann nicht mehr widerstehen. Dabei sehen wir von außen schon, dass Hansu kein wirklich guter Mensch ist, aber dennoch können wir Sunja ihre Gefühle nicht verübeln. Als Sunja erfährt, dass Hansu bereits eine japanische Ehefrau und mehrere Töchter hat, gewinnt ihr Selbstwertgefühl aber wieder die Oberhand, und sie ist bereit, die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen, aber nicht bereit ihre eigene Tugendhaftigkeit völlig aufzugeben.

Sie ist im Folgenden ein Charakter, der bereit ist, für Liebe und die Geliebten viel aufzugeben, sie will ihren Kindern ein gutes Leben ermöglichen und diese beschützen und lieben, so gut sie kann. Sie ist auch bereit zu Leiden, wenn es denn einem Zweck dient, aber sie weiß auch, wann sie ihre Stärke auspacken und ordentlich auf den Tisch hauen muss. In dieser Komplexität war ich einfach völlig verliebt in sie - ein wahnsinnig lebensechter Charakter.

Neben Sunja sind viele andere Charaktere relevant, zu denen sie sehr komplexe Beziehungen hat. Da ist ihre Mutter, die zunächst in Korea verbleibt und die Herberge weiterführt. Wir haben Hansu, der auf Sunjas Wunsch aus ihrem Leben zu verschwinden scheint. Wir haben Isak, der Sunja schließlich heiratet und nach Japan bringt - ein sehr feinfühliger, guter Mann, der nach christlichem Glauben erzogen ist. Wir haben Yoseb und Kyunghee, Isaks Bruder und seine Frau, die Sunja liebevoll als Schwester aufnehmen und fester Bestandteil ihres Lebens werden. Wir haben Sunjas Kinder und Enkel, deren Partner und Freunde und viele mehr. Dabei schafft es das Buch, dass jede Figur völlig einzigartig ist und uns abgerundet und voll entwickelt erscheint.

Das wichtigste Thema neben Familie ist in diesem Buch Rassismus, speziell der Rassismus von Japanern gegenüber Koreanern und was das mit den Koreanern macht, die in Japan leben und schon so lange gelebt haben, dass sie Korea gar nicht mehr kennen. Die Frage des Rassismus wird dabei an verschiedenen Figuren betrachtet, allen voran jedoch Noa und Mozasu, sowie Solomon. Ich will hier nichts spoilern, aber wie verschieden die Charaktere mit dem Rassismus umgehen, ist unglaublich spannend. Dabei werden diese Momente immer wieder gegeneinander ins Licht gesetzt - zum Beispiel in einer Szene zwischen Mozasu und seinem Schulfreund, nachdem dieser als Polizist zu einem Selbstmord von einem koreanischen Jungen ermitteln sollte. Es wird allerdings nicht nur auf individuellen und strukturellen Rassismus geschaut, sondern auch auf internalisierte rassistische Vorurteile, die man zu sich selbst und seiner Familie haben kann - und welche Folgen es hat, wenn man denkt, man wäre zu gut um der eigenen "Rasse" anzugehören, sich selbst und seine Familie dafür zu hassen beginnt.

Daneben wird das Motiv der Familie immer wieder stark gemacht. Wir sehen, wie stark in dieser Gesellschaft Japans das Gefühl ist, dass deine Familie über die bestimmt. In Form einer späteren Figur, Hana, können wir auch sehen, wie die Sünden der Mutter anders verarbeitet werden als im Falle von Sunja und ihren Söhnen. Diese Gegenüberstellung lädt wieder zu Reflektionen ein - ist Hana wirklich das Produkt der Sünden ihrer Mutter, oder hat sie sich diesem Schicksal vielmehr ergeben und damit auch selbst einen Anteil daran? Hier werden immer wieder Kontrastierungen eingebaut, die uns weiterdenken lassen. Daher ist dieses Buch bestimmt auch super für Buch Clubs und Diskussionsrunden.

Alles in allem bin ich einfach hin und weg von diesem Buch. Es ist unglaublich schlau geschrieben, auch sehr schön geschrieben, mit einer wahnsinnig tollen Hauptfigur, mit der wir viel leiden, aber der wir am Ende attestieren können, dass sie alles herausgeholt hat, was das Leben für sie zu bieten hatte. Das Buch wirft wichtige Fragen auf und kann uns, die wir wenig über asiatische Geschichte wissen, ein bisschen mehr Wissen vermitteln. Es ist eine tolle Diskussions- und Reflexionsgrundlage, vor allem für die Themen Rassismus und Familie. Ich hoffe, dass ihr alle dieses Buch lest, und dann vielleicht auch die TV Serie dazu schaut.

Bis bald,

Eure Kitty Retro





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