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Mittwoch, 7. Dezember 2016

Weihnachten 1945

Hallo meine Lieben,

dieses Jahr wollte ich doch auch mal Weihnachtsbücher lesen. Darum habe ich meine Bibliothek aufgesucht und einfach mal ein paar geschnappt. Spannend erschien mir vor allem dieser Band von Memoiren, die sich um das erste Weihnachten in Freiheit drehen. Dabei erschien es mir auch als guter Übergang von Honigtod, was leider kaum weihnachtliche Gefühle wachgerufen hat.

Die Fakten:
  • Herausgeber: Claus Hinrich Casdorff
  • Titel: Weihnachten 1945
  • Verlag: Deutscher Taschenbuchverlag
  • Erschienen: 2008 (erstmals 1981)
  • Seiten: 320
  • Preis: 9,95 Euro
  • Klappentext: "Ein Weihnachtsbuch ganz besonderer Art mit Beiträgen von Heinrich Albertz, Wolf Graf von Baudissin, Heinrich Böll, Christine Brückner, Walter Dirks, Heinz Friedrich, Marting Gregor-Dellin, Hildegard Hamm-Brücher, Joseph Kardinal Höffner, Heinz Kühn, Siegfried Lenz, Lola Müthel, Leonie Ossowski, Annemarie Renger, Luise Rinser, Walter Scheel u.a."

Ich möchte kurz jede Geschichte allein beleuchten und dann ein abschließendes Fazit geben.

   Celler Weihnachten - Heinrich Albertz (Politiker der Nachkriegszeit): Es wird erzählt vom Dasein als Flüchtlingspastor, der aus erster Hand erfährt, wie es den Geflüchteten damals ergangen ist. Dabei wird die Zweiklassengesellschaft betont, da die Celler Anwohner nicht mit den Flüchtlingen in einen Topf geworfen werden wollten. Ähnliches kann man heute ja immer noch erleben. Diese sehr kurze Geschichte bekommt von mir 4 Sterne.
   Schmollende Götterdämmerung - Wolf Graf von Baudissin (Offizier und Friedensforscher): Baudissin landete schon sehr früh in Kriegsgefangenschaft und lebte viele Jahre in einem Lager in Australien. Er beschreibt nicht nur das Weihnachtsfest, sondern auch die Stimmung der Kameraden, die zu den erfolgreichen Zeiten Hitlers schon in relativ abgeschottete Gefangenschaft gerieten und daher bis zum Ende an einen Erfolg des deutschen Reiches glaubten. Leider fand ich den Schreibstil sehr schlecht zu verstehen, daher gebe ich eher nur 3 Sterne.

   Von Weihnachten zu Weihnachten - Klaus von Bismarck (zuletzt Präsident des Goethe-Instituts): Beschrieben wird die Zeit von Weihnachten 1944 bis Weihnachten 1945. Dabei war Bismarck an der Ostfront eingesetzt. Nur durch das Zusammenspiel vieler Zufälle überlebte er, um seine Memoiren niederzuschreiben. Dabei erwähnt er aber auch eher unangenehme Wahrheiten. So hat die Freude über das eigene Überleben die Sorge um die Familie bei Weitem überwogen. Diese sehr lange und detaillierte Geschichte bekommt von mir 4 Sterne und hat mir bisher am besten gefallen.

   Hoffentlich kein Heldenlied - Heinrich Böll (Schriftsteller): Eine Geschichte über den Wiederaufbau, die Inflation und Mangelwirtschaft und eine Familie, die zusammenhalten muss. Mir persönlich war diese Geschichte etwas zu konfus und das Beste daran ist ein Zitat aus einem anderen Werk von Autor. Vielleicht merkt man hier auch schon ein bisschen das Alter. Für mich gibt es nur 2,5 Sterne.

   Altgewordene Kinder des Dritten Reiches - Christine Brückner (Schriftstellerin): Ich finde es sehr gut, dass nun endlich mal ein Beitrag einer Frau kommt. Sie verknüpft ihr Schicksal immer wieder mit einem ihrer Werke, was Lust darauf macht, es zu lesen. Dazu werden auch tatsächlich ein paar Szenen von jenem Weihnachten beschrieben. Von mir gibt es 4 Sterne.

   Bilder aus einer verstörten Stadt - Fritz Brühl (Journalist): Auch diese Geschichte beschreibt, wie Geflüchtete und Einwohner der Städte so gar nicht zusammenhalten wollten. Außerdem wird angesprochen, dass die Frauen sich plötzlich schminkten, um die neue Ära einzuleiten. Das finde ich natürlich interessant. Dieser Beitrag war sehr umfassend und interessant und bekommt von mir auch 4 Sterne.

   Zwiespältige Erfahrungen - Walter Dirks (katholischer Journalist): In dieser Geschichte geht es vor allem um Hoffnung. Nach den Zerstörungen und Greueln durch die Nazis hofften die jungen Menschen darauf, dass die Menschheit nun besser daraus hervorgehen könnte. Es geht aber auch darum, dass viele Hoffnungen unerfüllt blieben. Dieser Artikel ist recht politisch, aber ergänzt damit die anderen Artikel gut, die meist eher pragmatische Themen anschneiden. Daher von mir 3,5 Sterne.

   Aufbruch aus der Stunde Null - Josef Ertl (Politiker der Nachkriegszeit): Ertl erzählt vor allem von der Einsamkeit eines Menschen, der seine wichtigsten Bezugspersonen, seine Zukunftsperpektive und sein Vaterland verloren hat. Als Nazi-Kritiker erzogen fiel es ihm dennoch schwer neue Hoffnung zu schöpfen. Allerdings betont er auch die besondere Rolle, die die Kirche für viele in dieser Beziehung einnehmen konnte. Und er verdeutlicht, dass nach dem Krieg nichts mehr wie vorher war. Dafür gibt es ebenfalls 3,5 Sterne.

   Versuch einer Erinnerung - Heinz Friedrich (Gesellschafter des DT Verlages): Diese Geschichte habe ich als besonders berührend empfunden. Hier werden wirklich alle Schatten und Greuel des Krieges Deutschland. Vor allem wird klar, warum viele zwar aus dem Krieg wiederkamen, aber nie wirklich Heim kehrten. Und mit aller Deutlichkeit wird auch die Grausamkeit der Sieger gezeigt. Diese Geschichte ist wirklich wichtig und sollte von viel mehr Leuten gehört werden. Daher bekommt sie von mir 5 Sterne.

   Marginalien über kein Weihnachten - Martin Gregor-Dellin (Schriftsteller): Nun kommen wir nach Amerika, wo wir eine Geschichte aus der Kriegsgefangenschaft hören. Dieser Teil ist sehr sehr kurz und das fand ich schade. Es werden einige interessante Aspekte angeschnitten, aber mehr leider nicht. Daher gibt es hier nur 2,5 Sterne.

   Weihnachtsgeschichte 1945 - Hildegard Hamm-Brücher (Politikerin der Nachkriegszeit): Diese Geschichte nun steht im starken Kontrast zu bisher gelesenen, denn sie spricht von einer gänzlich glücklichen Stimmung und einem Abfall aller Ängste. Dabei ist die Freiheit Leitmotiv. In diesem Jahr nahm das Leben von Hamm-Brücher eine entscheidende Wendung. Wichtig ist aber auch der Nachtrag mit einem Plädoyer für Offenheit und Kommunikation über das Thema Weltkrieg. Inzwischen kommt das leider zu spät und wir scheinen alles vergessen zu haben. Insgesamt ist mir das 4,5 Stern wert.

   Neuer Aufbruch des Glaubens - Joseph Kardinal Höffner (Bischof): Die Kirche kann man nicht vergessen, wenn es um den Widerstand gegen die Nazis geht. Auch hatte sich bereits angedeutet, wie wichtig für viele die Kirche nach dem Krieg wurde. Daher ist diese Perspektive natürlich von großem Wert und darf im Buch nicht fehlen. Betont wird, wie viel Elend man als Pastor während der NS-Zeit gesehen hat. Ich vergebe dafür 4 Sterne.

   Gespräch über alle Grenzen - Walther Leisler Kiep (Politiker der Nachkriegszeit): Dieser Beitrag ist vor allem politisch, es geht vor allem um die Offenheit, die sich nach dem Ende des Krieges einstellte. Viele politisch Motivierte hofften auf eine neue Staatsform, in der die SPD treibende Kraft werden könnte. Es war ein Winter der Möglichkeiten. Da es sehr viel um dieses Thema geht, gebe ich 3,5 Sterne.

   Heimkehr aus dem Exil - Heinz Kühn (Politiker der Nachkriegszeit): In diesem Beitrag geht es nun, wie schon zu erraten, um einen Emigranten, der zurück in die Heimat kam in 1945. Er schreibt selbst, er war einer der ersten, und viele konnten dies nicht verstehen. Er betont aber auch, wie viele Jahre er seine Eltern nicht mehr gesehen hatte und wie dies ein seltsames, dramatisches Wiedertreffen war. Das hat mir gut gefallen. Daher gibt es 4 Sterne.

   Eine Art Bescherung - Siegfried Lenz (Schriftsteller): Dieses Kapitel ist zwar kurz, aber mit Herz geschrieben. Man sieht deutlich, dass hier ein Autor schreibt und kein Politiker. Ein schön erfrischender Beitrag. Daher gibt es von mir 4,5 Sterne.

   Denk ich an Deutschland von England aus - Richard Löwenthal (Politikwissenschaftler): Dieser Beitrag beschäftigt sich wiederum mit einem Weihnachten aus der Ferne, denn Löwenthal war aus dem Exil noch nicht zurückgekehrt. Er kann beschreiben, wie er England zu jener Zeit empfunden hat. Das gibt einen Blick über den Tellerrand hinaus und ist mir 4 Sterne wert.

   Eine Schauspielerin in Deutschland - Lola Müthel (Schauspielerin): Müthel beschreibt ihr Leben als Patch-Work-Decke. Dabei geht es vor allem um ihre Liebe zum Theater. Sie will Deutschland nicht verlassen, tut es erst im letzten Moment und schafft es dann nicht, sich in der Schweiz ein neues Leben aufzubauen. Ich fand diese Perspektive einzigartig und hätte zu gern mehr gelesen. Mir war das zu kurz, daher nur 3,5 Sterne.

   Das Weihnachtsessen - Leonie Ossowski (Schriftstellerin): An sich hat mir diese Geschichte wahnsinnig gut gefallen, nur das Ende hat mich irritiert. Insbesondere die Geschichten der Frauen berühren mich. Es geht diesmal um die Solidarität und die Anfeindungen unter den Menschen. Dabei weiß Ossowski eine weihnachtliche Geschichte zu erzählen, die das Thema mal nicht verfehlt bzw sehr ausdehnt. Dennoch, das Ende... aber naja, solche Leute muss es eben auch geben. 4,5 Sterne.

   1945, einige Reflexionen damals und heute - Klaus Piper (Verleger): Einerseits geht es darum, wie es war, nach dem Krieg den Verlag der Familie wieder groß zu ziehen, was ja definitiv gelungen ist, andererseits aber auch um die Ängste einer verunsicherten Jugend. Es geht darum, dass wir auch heute noch aus den Fehlern unserer Ahnen lernen müssen. Wir brauchen eine Umgebung, in der wir das können. Dennoch hat mir hier was gefehlt, daher 3,5 Sterne.

   Die erste Friedensweihnacht - zur Zukunft entschlossen - Annemarie Renger (Politikerin der Nachkriegszeit) : Einen kurzen Einblick erhalten wir in die Anfangszeit von Kurt Schumacher in der zukünftigen BRD. Auch erfahren wir, wie das Weihnachten bei Renger aussah. Dennoch hat mich dieser Teil nicht so sehr begeistert, 3 Sterne. 

   Von der Liebe zum Menschen - Luise Rinser (Schriftstellerin): Eine sicherlich erzählenswerte Geschichte, vor allem der erwähnte Brief hat mein Interesse geweckt. Auch die Abgeschiedenheit der Wohnstatt hat etwas. Leider erfahren wir hier einfach zu wenig. Daher nur 3,5 Sterne.

   Ohne Angst vor der Zukunft - Walter Scheel (Politiker der Nachkriegszeit): Ein sehr kurzer aber prägnanter Beitrag, der nochmals beleuchtet, wie viel aus der Katastrophe und dem Wiederaufbau zu lernen war und wie viel heutige Generationen daraus noch mitnehmen müssten. Ein bisschen schwummrig wird einem, wenn man sich die aktuelle Politik anschaut. 4 Sterne.

   Weihnachten 1945. Vergeblicher Versuch, einen Punkt zu vermessen - Franz Wördemann (Journalist): Diese Geschichte ist gut geschrieben, sehr einprägsam und hat mich begeistert. So viel davon finde ich nachvollziehbar aufbereitet. Die Metapher der Stadt ohne Gesicht finde ich toll. Aber auch so bildet es einen guten Kontrast zu bereits Gelesenem. Daher gibt es hier von mir die einzigen 5 Sterne.

   Weihnacht der Einsamen - Peter von Zahn (Journalist): Soweit ich es richtig verstanden habe, handelt es sich bei diesem letzten Beitrag um eine Rede zur Weihnacht 1945. Und besser könnte man wohl kaum enden. Einige Passagen habe ich meinem Freund vorgelesen, denn Vieles kommt uns bekannt vor heute. Ein beeindruckendes Ende und Plädoyer für den Frieden. 4 Sterne.

So, das waren alle Geschichten. Insgesamt würde ich der Sammlung 3,5 Sterne geben. Gelegentlich ist das Thema einfach verfehlt, wenn es nur um die politischen Möglichkeiten und nicht um Erinnerungen an das erste Weihnachten in Frieden geht. Einzelne Geschichten sind aber berührend, schockierend, wichtig. Zwischendrin wiederholt sich einfach viel, vor allem Politisches. Mir hat das Buch gut gefallen, aber ich hatte mir ein wenig mehr erhofft.

Habt ihre ähnliche Sachen schon gelesen? Empfehlungen?

Bis bald,
Eure Kitty Retro




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