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Freitag, 22. Mai 2020

Tränenmond

Hallo meine Lesemäuse,

in den vergangenen Monaten und Jahren habe ich meine Liebe für Biografien von Frauen entdeckt, die in einer ganz anderen Gegend der Welt aufgewachsen sind als ich. Ich habe euch Bücher auch Nordkorea vorgestellt, aus Pakistan und heute kommen wir zu Marokko. Ich war selbst schon mal in Marokko im Urlaub, 15 Jahre ist das inzwischen her, aber ich liebe diesen Teil der Welt geografisch. Anders sieht es allerdings mit den herrschenden Normen und Werten in dieser Gegend aus, vor allem mit den Einstellungen zu den Rechten von Frauen. Darüber hat dieses Buch einiges zu sagen.

Die Fakten: 
  • Autor: Ouarda Saillo
  • Titel: Tränenmond
  • Erschienen: 2004
  • Verlag: RM Buch und Medien Vertrieb
  • Reihe: Gezeiten der Hoffnung
  • Seiten: 378
  • Preis: 6,00 Euro
  • Klappentext: "Der Vater, ein Mann ohne Selbstbewusstsein, kann die Eigenständigkeit seiner Frau nicht länger ertragen. Er schlägt sie - aber nichts ändert sich. Da wächst in ihm ein teuflischer Plan heran, und er macht die fünfjährige Ouarda zu seiner Mitwisserin. Damit stellt er sie vor eine schwere Entscheidung: Soll sie ihm gehorchen, oder der Mutter in ihrer Not beistehen? Ouarda verlässt das Elternhaus, und es passiert, was der Vater angekündigt hat. Die Tochter fühlt sich schuldig am Tod der Mutter und macht sich Vorwürfe. Heute, nach über zwanzig Jahren, kehrt Ouarda an den Ort des Grauens zurück. Sie löst den Konflikt von damals auf und verabschiedet sich von ihren Schuldgefühlen. Doch die Trauer bleibt, und der Weg zurück ist lang."

Zur Handlung: Ouarda Saillo wächst als eine der jüngeren Töchter in einer Familie auf, in der Gewalt zur Tagesordnung gehört. Der Vater hat seinen Antrieb verloren, gibt sich täglich Drogen hin und wähnt sich als Schatten des Propheten. Er geht keiner Arbeit mehr nach und kann die Familie nicht versorgen. Die Mutter versucht dieses labile Konstrukt namens Familie zusammen zu halten. Sie hat sich das alles nicht ausgesucht, sondern wurde an den einst so wortgewanden und weltoffenen älteren Mann verheiratet.

Das Leben von Ouarda nimmt an dem Tag eine tragische Wende, als der Vater endlich seinem Verlangen nachgibt, seine Frau bis in alle Ewigkeit zu dominieren und jede Chance, dass sie fremdgeht, zu vernichten. Er tötet sie und zündet ihre Leiche auf dem Hausdach an. Die Nachbarn verständigen die Behörden und von einem Tag auf den anderen werden die sieben Kinder der Familie obdachlos. Sie haben nichts außer sich gegenseitig, und eine gierige Familie, die noch den letzten Cent aus ihnen herauspressen möchte.

Dieses Buch ist nicht für Zartbesaitete. Wir starten mit dem Kapitel, das den Tag des Todes von Ouardas Mutter beschreibt. Dies ist also kein Spoiler, sondern der Aufhänger der Geschichte. Danach gehen wir zurück zu Ouardas Kindheit bis zu diesem Tag. Wir sehen das Gute und das Böse. Dieser Teil lässt sich besonders schwer lesen, weil man den Ausgang bereits kennt und keine Hoffnung hat, dass die Mutter ihrem Ehemann irgendwie entkommen kann - obwohl wirklich alle die Warnzeichen sehen.

Danach gehen wir mit Ouarda durch den Rest ihrer Kindheit und Jugend, bis es ihr letztlich gelingt, Marokko den Rücken zu kehren und ein neues Leben zu beginnen. Von diesem neuen Leben erfahren wir fast nichts. Wir sehen aber, wie sie noch einmal zurückgeht, um endlich Klarheit zu erlangen, ihrem Vater zu vergeben und mit Marokko und ihrer Familie Frieden zu schließen.

Ouarda und ihre Geschwister leben nach dem Tod der Mutter und der Verhaftung des Vaters bei dem Bruder des Vaters. Dieser hat es scheinbar vor allem auf das schöne Haus abgesehen. Ouarda und ihre Geschwister werden hauptsächlich als ungewollte Mitbewohner behandelt, denen man gelegentlich etwas Miete abzwacken kann. Ouarda ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal in der Schule. Sie beschreibt eindrücklich die schlechte Erziehung ihrer Cousins und Cousinen, die sich in ihren Augen unehrenhaft verhalten - in meinen auch. Und sie betont den Einfluss ihrer großen Schwestern, die sich immer von der schiefen Bahn abgehalten haben. 

In diesem Buch geht es fast ausschließlich um Familie, man könnte sagen: the Good, the Bad, the Ugly. Wenig Good, viel ugly Bad. Wer also bei diesem Thema Probleme hat, also zum Beispiel bei Kindesmisshandlung, Gewalt gegen Kinder, Kinder bedrohen, Hungern und so weiter, der sollte einen Bogen um das Buch machen. Das Buch geht dabei nicht in unnötige Details, aber es malt schon ein anschauliches Bild. 

Ich habe trotzdem immer eine gewisse Distanz zu Ouarda empfunden beim Lesen. Das hatte damit zu tun, dass das Buch zwar relativ linear erzählt ist, aber dann doch gelegentlich springt. Dann geht es kurz um etwas, wo sie 16 war, und gleich darauf sind wir zurück in der zweiten Klasse. Manchmal konnte ich daher Dinge zeitlich nicht so gut einordnen. Das Buch besteht eher aus Vignetten als aus einer stringenten Erzählung.

Ich glaube, insgesamt hätte das Buch mich noch mehr berühren können. Ich habe in letzter Zeit einfach zu viele sehr gute Bücher in dem Bereich gelesen und bin vielleicht auch verwöhnt worden. Aber ich habe mir einfach noch ein bisschen mehr gewünscht an der Art, wie das Buch geschrieben ist. Ich find es aber total spannend, mal von einer Person zu lesen, die nach Deutschland eingewandert ist. Darüber hätte ich gern viel mehr Bücher. Es war auch interessant, wie sie Europa und Deutschland in ihrer Kindheit und dann kurz vor der Migration wahrgenommen hat.

Alles in allem fand ich das Buch gut. Es ist ein schnelles Leseerlebnis, das einem vor Augen führt, warum es so wichtig ist die Schwachen überall - global - zu schützen. Warum Kinder und Frauen Rechte brauchen und Menschen, die für diese eintreten. Das es starker Staaten und Institutionen bedarf, die Frauen und Kinder schützen. Und solche Bücher brauchen wir einfach!

Kennt ihr dieses Buch oder die dazugehörige Reihe? Ich hatte es mal gebraucht bei Medimops bestellt und dann über Jahre im Schrank einstauben lassen. Ich wusste nicht mal, dass es kein Roman sondern eine Autobiografie ist - weil Roman draufsteht... Ich habe gerade gesehen, dass die Autorin auch noch ein Buch über ihr späteres Leben verfasst hat, das habe ich mal auf meine Wunschliste geschoben.

Bis bald,
Eure Kitty Retro







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