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Mittwoch, 3. Februar 2021

Asking For It


Hallo meine Bücherwürmer,

bisher läuft mein Lesejahr wirklich richtig gut. Abgesehen von meinem Hörbuchreinfall habe ich nur zu richtig guten Büchern gegriffen. Und heute berichte ich euch von einem weiteren Buch, das mich völlig überzeugen konnte. Es ist auf keinen Fall für jede*n, denn es hat Trigger für sexuelle Gewalt, Cybermobbing und Victimblaming, aber wer das ertragen kann, auf den wartet ein sehr gut geschriebener Roman.

Die Fakten:

  • Autor: Louise O'Neill
  • Titel: Asking For It
  • Erschienen: 2015
  • Verlag: riverrun (Quercus)
  • Seiten: 340 + Nachwort
  • Preis: 9,18 Euro
  • Klappentext: "In a small town, where everyone knows everyone, Emma O'Donovan is different. She is the special one - beautiful, popular, powerful. And she works hard to keep it that way. Until that night... Now, she's an embarassment. Now, she is a slut. Now, she is nothing. And those pictures - those pictures that everyone has seen - mean she can never forget."

Zur Handlung: Emma hat alles - Freundinnen, die immer für sie da sind, Männer, die ihr nachlechzen, eine Familie wie aus dem Bilderbuch, Erfolg in der Schule ohne viel Vorbereitung. Doch natürlich ginge es immer noch besser. So bestiehlt sie ihre Freundin, deren Eltern mehr Geld haben. Sie trachtet nach dem festen Freund ihrer besten Freundin - nur um zu zeigen, dass sie könnte. Und als eine Freundin ihre Hilfe braucht, rät sie ihr zum Schweigen. Ihren besten Freund aus Kindheitstagen ignoriert sie oft, denn ihn rumzukriegen, würde ihr unter ihren Peers keine Punkte einbringen.

Doch in einer Nacht ändert sich alles für Emma. Und am liebsten würde sie es einfach vergessen. Die Wahrheit ist, sie kann sich eigentlich gar nicht erinnern. Aber da sind die Bilder auf Facebook, ein Snapchat-Video. Sie kann nicht leugnen, was ihr passiert ist. Und als schließlich die Ermittlungen starten, erinnert sich keiner mehr, dass Emma nicht diejenige war, die Anzeige erstattete.

Das Buch startet mit einem Teil "letztes Jahr". Zunächst dachte ich, das ist ein Prolog, aber dann wurde mir irgendwann klar, dass es die ganze erste hälfte des Buches ist. Die Benennung war da irreführend. Wir treffen Emma in ihrer Welt: alle himmeln sie an, niemand kann sich gegen sie stellen, alles fliegt ihr zu. Emma ist damit nicht wirklich eine Sympathieträgerin, aber das soll sie auch nicht sein. Sie wird mit Absicht so aufgebaut, dass böse Zungen ihr vielleicht wünschen würden, dass etwas ihr Leben zerstört. Aber als Leser, die wir diese Zerstörung erwarten, fühlen wir doch irgendwie mit ihr mit. Denn wir wissen, so wird es nicht lange weitergehen.

In diesem Teil lernen wir vor allem, wie Emma mit ihrem Umfeld umgeht, allen voran ihren besten Freundinnen. Dabei wird schnell klar, dass Emma zwar aussieht, als hätte sie alles, aber trotzdem immer noch mehr will. Sie stiehlt von der reichen Freundin, sie flirtet mit dem Freund der besten Freundin, sie spannt anderen Mädchen die Typen aus und lässt diese dann fallen, weil es ihr nur um Prestige geht. Darum zu zeigen, dass sie es kann. Dabei merken wir, dass Emma eigentlich auch nicht glücklich ist. In ihrem Zuhause bekommt sie immer zurückgespiegelt, dass nur ihre Schönheit etwas wert ist. Ihre anderen Merkmale werden nicht zur Kenntnis genommen. Es wird vorausgesetzt, dass Emma perfekt ist, weil sie perfekt aussieht.

Schon früh im Buch fragt sich Emma, ob sie mit einem Jungen wirklich Sex haben wollte. Eigentlich wollte sie ja nur beweisen, dass sie ihn rumkriegen kann, hatte aber kein richtiges Interesse. Daran sehen wir, wie Emma ihre Sexualität als ihr Kapital sieht. Sie muss dieses immer wieder symbolisch einsetzen, damit es wirksam bleibt. Ein Interesse an den betreffenden Jungen hat sie nicht. Dies ist wichtig für den weiteren Verlauf der Geschichte, denn es ist einfach zu sagen, Emma wäre eine Schlampe. Zu einfach, denn das Buch zeigt in den Zwischentönen, was Emma dazu bringt, nur ihren Körper als wertvoll zu sehen.

Dann geschieht "jene Nacht", über die ich nichts sagen möchte, da es einerseits sehr triggernd sein kann und andererseits auch der Twist im Buch ist. Wir erleben dann noch das kurze Nachbeben, dann springt das Buch ein Jahr in die Zukunft. Hier spielt nun die zweite Hälfte des Buches. Wir sehen, dass Emma sich völlig gewandelt hat. Sie verlässt das Haus quasi nicht mehr, sie macht sich nicht mehr hübsch, sie geht zur Therapie. Ihre Familie bricht in sich zusammen, der Vater kann mit der "Schande" nicht leben und ist immer länger im Büro, die Mutter ertrinkt ihr Leid in Alkohol und der große Bruder erwartet, dass Emma für eine Sache kämpft, die sie schon verloren glaubt.

Dieser Teil ist ebenfalls schwer zu lesen, aber anders als der erste. Hier sehen wir, wie die Kleinstadt darauf reagiert, was geschehen ist. Und so schön ein Setting in Irland auch ist, sexuelle Gewalt in einer katholisch geprägten irischen Kleinstadt - da weiß man, wie es weitergeht. Wir erfahren, dass Emma zunächst noch versucht hat, ihr Leben irgendwie weiterzuführen, aber wie ihr Umfeld sie schließlich dazu gebracht hat aufzugeben.

Ich muss sagen, dem Vater wollte ich sehr oft gegen das Knie treten. Auch die Mutter wird wirklich zur blöden Kuh. In diesem Teil sind mir vor allem Connor, der beste Freund aus Kindertagen, und Emmas Bruder an Herz gewachsen. Beide wollen Emma helfen, sind aber als junge Männer auch einfach planlos, wie diese Hilfe aussehen kann. Besonders schön fand ich, dass Conner sich nicht davon abbringen lässt, auch wenn Emma nie reagiert. Das ist die Art Freundschaft, die ein Mensch mit Depressionen und ähnlichem braucht. Der Bruder dagegen versucht für Gerechtigkeit zu sorgen, und obwohl Emma gern so sein möchte, wie er sie braucht, tut dieser Weg ihr nur noch mehr weh.

Dieses Buch kann man auf so vielen Ebenen diskutieren und sollte man auch, aber ich glaube, ich ziehe hier jetzt erstmal einen Schlussstrich. Ich verspreche euch, dass dieses Buch euch wütend machen wird: einmal über die Dummheit der Menschen, die sich alles so drehen können, wie es ihnen gefällt, und dann darüber, dass die Welt wirklich so ist wie im Buch beschrieben. Vermutlich werdet ihr auch ein paar Tränen verdrücken, habe ich jedenfalls. Das Buch wird keinen Spaß machen, aber es wird so phänomenal geschrieben sein, dass ihr es nicht aus der Hand legen könnt. Und vielleicht werdet ihr nach dem Lesen über manche Dinge etwas anders denken als vorher.

Ich kann das Buch nur empfehlen, wenn euch der Inhalt nicht zu sehr triggert. Viele haben sich über das Ende beschwert, aber ich fand es passend. Das ist kein Wohlfühlbuch, aber das erwartet bei dem Cover auch niemand. Es ist ein Buch, dass sich dezidiert gegen Slutshaming und Victimblaming stellt. Und für mich war es perfekt.

Könnt ihr ähnliche Bücher empfehlen?

Bis bald,

Eure Kitty Retro





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