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Sonntag, 16. Februar 2020

Schwarze Magnolie

Hallo meine Memoirenleser,

letztes Jahr hatte ich das Thema Nordkorea für mich entdeckt, als ich In Order To Live las. Um mich in dieser Hinsicht weiter zu bilden, habe ich mir aus der Bibliothek nun dieses Buch mitgenommen, in dem es ebenfalls um eine junge Frau geht, die Nordkorea im Laufe ihres Lebens verlassen muss. Das Buch war ganz anders als In Order To Live und dennoch sehr faszinierend.

Die Fakten:
  • Autor: Hyeonseo Lee mit David John
  • Titel: Schwarze Magnolie - Wie ich aus Nordkorea entkam - Ein Bericht aus der Hölle (Original: The Girl with Seven Names)
  • Übersetzung: Elisabeth Schmalen, Merle Taeger, Katharina Uhlig
  • Erschienen: 2015
  • Verlag: Wilhelm Heyne Verlag
  • Seiten: 412
  • Preis: 19,99 Euro
  • Klappentext: "Ihre Kindheit in Nordkorea ist "ganz normal" - und unvorstellbar: Das Leben von Hyeonseo Lee und das ihrer Familie gehören dem Staat. Es gelten eiserne Regeln, und wer sie nicht befolgt, muss mit dem Schlimmsten rechnen: Hyeonseo ist sieben Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine öffentliche Hinrichtung miterlebt. Um wenigstens einmal den Fesseln des Kim-Regimes zu entkommen und kurz die Freiheit zu spüren, schleicht sich Hyeonseo als Teenager über die Grenze nach China - aber dann ist ihr der Heimweg versperrt. Zehn Jahre lang schlägt sie sich in China als Illegale durch, bevor sie schließlich nach Südkorea gelangt. Endlich in Sicherheit! Doch als sie einen Notruf ihrer Familie erhält, beschließt sie, ihre Mutter und ihren Bruder aus Nordkorea herauszuholen..."

Zur Handlung: Hyeonseo ist nicht ihr richtiger Name - oder vielleicht ist es nur nicht ihr erster. Geboren zu einer unglücklichen Frau in Nordkorea, die aus Liebe ihren Ehemann verlässt, um den Mann zu heiraten, mit dem sie zusammenleben will; aufgewachsen in einer Zeit, in der es Nordkorea noch nicht schlecht ging; durch einen Jugendfehler zu einer Heimatlosen geworden und doch immer die - scharfsinnige und geschäftstüchtige - Tochter ihrer Mutter.

In diesem Buch berichtet eine junge Frau von den prägensten Jahren ihres Lebens. Wir beobachten, wie sie von einem unbedarften Kind zu einer rebellischen Teenagerin zu einer klugen und fleißigen jungen Frau und schließlich zu Fluch und Segen ihrer Familie wird. Dabei reisen wir mit ihr durch drei Länder, die kaum weiter entfernt von Deutschland sein könnten: Nordkorea, China und Südkorea - mit Abstecher nach Laos.

Wie immer möchte ich zuerst mal den Klappentext und den Untertitel rügen. Hier versuchen deutsche Verlage mal wieder mit Halbwahrheiten Bücher zu verkaufen. Der Untertitel ist völlig irreführend und passt so gar nicht zum Vorwort. Hyeonseo bezeichnet sich selbst als Patriotin - ihr Land ist für sie nicht die Hölle. Durch die Hölle ist sie vielleicht gegangen, aber sie liebt ihre Heimat und wünscht sich das beste für sie. Auch der Teil über die "ganz normale" Kindheit wirkt falsch, denn Hyeonseo hatte eine ziemlich normale Kindheit, vor allem für nordkoreanische Verhältnisse. Ihre Familie hatte einen hohen songbun, der Vater war beim Militär, die Mutter Regierungsangestellte. Hyeonseo kannte keinen Hunger in der Kindheit. Natürlich sind Hinrichtungen für uns nicht gerade Kinderunterhaltungsprogramm, aber unendlich schlimm war ihre Kindheit nicht.

Nun aber zum Inhalt des Buches. Der konnte mich nämlich wieder überzeugen. Im ersten Teil des Buches geht es um Kindheit und Jugend in Nordkorea. Dabei geht Hyeonseo sehr offen mit ihrem Privileg um. Sie berichtet von ihrer Grundschulausbildung, während derer sie die Geschichten über die Kim-Familie und ihre speziellen Fähigkeiten alle glaubte. Erst nach und nach stellt sie fest, dass es anderen Kindern nicht so gut geht wie ihr. Sie ist beleidigt, weil eine Freundin ihr keine Snacks bei einem Besuch anbietet - bis sie versteht, dass diese Familie einfach kein Essen für Besucher hatte. Wie meist hat mich dieses Kapitel am meisten beeindruckt, denn das alltägliche Leben in diesem fernen Land ist so anders als hier.

Ein besonderer Einschnitt in Hyeonseos Leben ist der Tag, an dem sie von ihrer Großmutter erfährt, dass ihr "Vater" gar nicht ihr Vater ist. Ab diesem Moment verschließt sich Hyeonseo gegen ihre Familie und entwickelt sich zu einem rebellischen Teenager. Dies führt schließlich auch dazu, dass sie kurz vor ihrem Geburtstag, mit dem sie zu einer vollen Erwachsenen wird, die Grenze zu China überquert, um sich und anderen zu beweisen, dass sie das kann. Doch alles geht schief und sie kann nicht zurück. Ich fand es faszinierend, dass es sich lediglich um einen dummen Zufall handelte, dass sie ihr Land verließ. Dazu passt auch eine spätere Aussage, dass Personen Nordkorea nicht verlassen, weil sie nach Freiheit oder Menschenrechten suchen - sondern wegen Hunger oder politischer Verfolgung... oder eben Pech.

Ab diesem Moment hat Hyeonseo allerdings unverschämtes Glück - sie kommt bei Verwandten in China unter, sie kann sich bei der Polizei erfolgreich als Chinesin verkaufen, sie findet arbeit und am Ende sogar einen echten chinesischen Pass. Auch das reflektiert sie jedoch mit Verweisen auf andere Mädchen, die sie trifft: die verhaftet und zurückgesandt werden, die in Prostitution leben oder zur Heirat gezwungen werden von Menschenhändlern. Aber wo sie kann, lässt sie auch niemanden zurück, was ich gut fand.

Interessant fand ich, dass Südkorea nie das Ziel von Hyeonseo war. Sie wusste gar nicht, wie viele Menschen jedes Jahr dort aus Nordkorea Zuflucht suchen. Sie stößt eher zufällig darauf, dass sie das retten könnte - in China muss sie jeden Moment mit Abschiebung rechnen, wenn jemand ihr Spiel durchschaut. Es zeigt, wie sehr sie in einer Blase lebte, wie stark sie allein mit Überleben beschäftigt war. 

Auch auf dem Weg nach Südkorea wird Hyeonseo von unverschämten Glück - aber auch ihrem scharfen Verstand - verfolgt. Ich habe wirklich sehr mit ihr mitgefiebert, obwohl ich ja wusste, was geschieht. Das Ankommen in Südkorea und die Zeit dort wird von ihr wenig beschrieben. Stattdessen folgt nun noch der Versuch die Familie zu retten. Auch hier habe ich viel gehofft und gebangt. Und man muss Hyeonseo zu Gute halten, wie viel sie in den Jahren in China gespart hat, was sie alles riskiert hat für ihre Familie. Und schließlich kommen doch noch ein paar Menschen in ihr Leben, die ihr helfen und ihren Glauben an die Menschheit retten.

Alles in allem fand ich dieses Buch sehr gelungen. Es lässt sich leicht lesen, ist sehr verständlich und gleichzeitig mitreißend. Das Leben selbst kann man nicht bewerten, aber ich fand die Schwerpunktsetzung im Buch sehr gelungen und auch das Reflektieren der Privilegien fand ich immer wieder super. Hyeonseo verpasst es nicht zu betonen, dass nicht jede Nordkoreanerin so viel Glück hatte wie sie. Besonders spannend fand ich auch, wie sie beschreibt, dass es zwei Arten von nordkoranischen Flüchtlingen in Südkorea gibt: die, die aus Armut geflohen sind, und die, die nicht wirklich arm waren. Sie sagt, ersteren gelingt es besser, ein neues Leben aufzubauen, während letztere ein Problem damit haben, nun ganz unten in der Gesellschaft zu landen. Ihre Familie zählt sie selbst in letztere Kategorie. Hyeonseo selbst hat Glück, dass sie sich bereits all die Jahre in China durchschlagen musste, sodass sie einen "sanfteren" Übergang zwischen diesen beiden Welten hatte.

Ich kann euch dieses Buch also wärmstens empfehlen, wenn ich das Thema interessiert, ihr aus der Sicht von tatsächlich Betroffenen lesen wollt und Angst vor trockenen Texten habt. Das Buch ist spannend, interessant, persönlich und regt zum Nachdenken an. 

Was wisst ihr schon über Nordkorea? Und könnte euch dieses Thema anlocken?

Bis bald,
Eure Kitty Retro





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