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Sonntag, 23. Mai 2021

Der Junge, der vom Frieden träumte


Hallo meine Lieblingsleser,

in den letzten Wochen waren die Nachrichten wieder voll von Israel und Palästina. Dabei sind die westlichen Medien ja meist stark an das israelische Narrativ angelehnt, dass diese sich nur gegen die terroristische Hamas verteidigen würden. Dagegen war Twitter (zumindest in meiner Timeline) voller Augenzeugenberichte aus Palästina, und auch die Anzahl der Toten und Verletzten zeigt deutlich, wer in diesem "Konflikt" welche Waffen einsetzt und wer sich kaum verteidigen kann. Auf jeden Fall hat mich das alles inspiriert, endlich dieses Buch zu lesen, das meine Mutter mir schon vor Jahren ausgeliehen hatte, weil sie es gern mochte.

Die Fakten:

  • Autor: Michelle Cohen Corasanti
  • Titel: Der Junge, der vom Frieden träumte (Original: The Almond Tree)
  • Übersetzung: Adelheid Zöfel
  • Erschienen: 2016
  • Verlag: Fischer Taschenbuch
  • Seiten: 397
  • Preis:
  • Klappentext: "Palästina, 1954: Als seine zweijährige Schwester auf der Jagd nach einem Schmetterling in ein Minenfeld gerät, zerbricht Ahmeds heile Welt als Sohn eines wohlhabenden Orangenzüchters. Von da an ist nichts mehr wie zuvor im Leben des Zwälfjährigen. Er ist es, der die Familie versorgen muss, als der Vater verhaftet wird. Und er ist es, der dank einer außerordentlichen Gabe eine große Chance bekommt..."

Zur Handlung: Ahmed wächst im sogenannten Dreieck auf, einer Region in Israel, in der zunächst sehr viele arabische Personen leben. Die Gegend ist geprägt von der israelischen Siedlungspolitik, die die palästinensischen Dörfer immer mehr von der Außenwelt abschneidet, sodass diese am Ende kaum noch Platz zum Leben haben. Außerdem wird dort alles durch die Israelis kontrolliert - es darf niemand beerdigt werden und kein Haus gebaut werden ohne Genehmigungen, für die man ewig kämpfen muss.

Ahmeds Familie ist im Besitz von einem Orangenhain, der der Familie in der Vergangenheit Wohlstand gebracht hat. Doch davon sehen wir recht wenig, denn direkt zu Beginn der Geschichte von die Familie innerhalb einer halben Stunde enteignet. Sie werden auf einen Hügel zu einer Hütte gebracht, hinter der ein Mandelbaum steht. Dies sei ihr neues Zuhause. Der Vater muss fortan auf dem Bau arbeiten, um die Familie zu ernähren. Doch alles ändert sich in der Nacht, als Ahmed einen Mann des Widerstands dabei erwischt, wie er Waffen unter dem Mandelbaum vergräbt...

Diese Geschichte war für mich etwas Neues, da sie auf die Palästinenser fokussiert. Daher habe ich das Buch auch gelesen. Allerdings war mir gleich zu Beginn aufgefallen, dass die Autorin eine amerikanische Jüdin ist. Da fragt man sich natürlich schon, mit welchen Vorstellungen die Autorin an das Buch herangetreten ist. Daher werde ich im Folgenden vor allem auch auf kritische Punkte eingehen, die mir als Außenstehender aufgefallen sind. Ihr werdet sicherlich auch Kritiken von Personen finden, die sich mit dem Thema besser auskennen und mehr darauf eingehen können.

Ahmed als Hauptcharakter hat mir ehrlich gesagt nicht so gut gefallen. Wir folgen in dieser Sicht einem Jungen, der im Konflikt zwischen Palästina und Israel groß wird. Er ist stark geprägt durch die pazifistische Sichtweise seines Vaters und durch die Notwendigkeit, seine Familie zu verteidigen und zu ernähren. Allerdings wird er auch als ein Mathegenie dargestellt - dies ist die Chance, die er bekommt. Im Laufe des Romans kann er Physik studieren und wird ein bedeutender Forscher. Allerdings hat mir dieser Aspekt in zweierlei Hinsicht nicht so gut gefallen.

Als erstes ist da sehr offensichtlich dieses Moment, dass er die Chance auf ein Leben als Wissenschaftler nur bekommt, weil er ein "Genie" ist. Während seine Landsleute und seine Familie weiter in Armut leben (zumindest während seines Studiums), bekommt er die Chance auf mehr, weil er ein Wunderkind ist. Ahmed sieht das allerdings eher als den Beleg dafür, dass ja nicht alle Israelis schlimm und diskriminierend sind, und weniger als den Fakt, dass nur die Palästinenser irgendeine Chance kriegen, die absolut besonders sind. Er bleibt damit auf einem Auge blind für die Diskriminierung und die Verbrechen, die an seinem Volk begangen werden.

Als zweites hat mich auch einfach die Darstellung der Wissenschaft als etwas absolut Exklusives gestört. Die Art und Weise wie sein Studium und seine Karriere präsentiert werden, haben für mich (als Promovierende) nichts mehr der Realität des Wissenschaftsbetriebs zu tun. Ich mochte einfach diese Sichtweise nicht, dass nur Menschen mit dieser fast übernatürlichen Gabe später mal große Wissenschaft vollbringen. Zwar arbeitet Ahmed dann mit einem israelischen Professor gemeinsam, aber es hat immer den Anschein, als würde er diese genialen Dinge alle durch seine Begabung vollbringen. Für mich ist Wissenschaft etwas anderes - Teamwork, harte Arbeit, Durchhaltevermögen. 

Kommen wir nochmal auf den Professor zurück. Diesen Teil fand ich eigentlich am absurdesten am ganzen Roman: der Professor scheint (wenn ich es richtig verstanden habe) derjenige Soldat gewesen zu sein, der Ahmeds Vater brutal zusammengeschlagen hat während seiner Verhaftung. Dann setzt er seine eigene Karriere aufs Spiel, um Ahmed von der Uni zu verweisen - mithilfe von Lügen. Als das schließlich auffliegt, zwingt Ahmed den Professor zur Zusammenarbeit. Es gibt dann eine Szene, die darstellen soll, wie die beiden sich gegeneinander öffnen. Der Professor spricht darüber, wie seine ganze Familie im Holocaust getötet wurde. Ahmeds kreative Antwort darauf ist: ja, das waren aber ja nicht wir Palästinenser. Am Ende entsteht für mich in dieser Szene das klare Bild, dass die Palästinenser doch nur verstehen müssen, wie traumatisiert die Israelis alle sind, und dann könnten sie sich gegenseitig verzeihen und gemeinsam in die Zukunft gehen. Leider geht diese Idee völlig an aller Realität vorbei. Wenn man bedenkt, was zu diesem Zeitpunkt mit Ahmeds Familie alles geschehen ist, ist seine Vergebung absolut nicht nachvollziehbar - und in meinem Kopf auch nicht richtig.

Ein Teil des Buches widmet sich dann auch Ahmeds Liebesleben, was mich herzlich wenig interessiert hat. Zunächst verliebt er sich in eine Studentin, wobei das Machtgefälle zwischen Studentin und Dozenten so gar nicht thematisiert wird. Als sie schließlich von ihrem Vater an einen anderen Mann verheiratet wird, weil Ahmed so lange zögert um ihre Hand zu bitten, fühlt er sich von ihr benutzt... ist klar. Ich meine, sie musste einen Mann heiraten, von dem wir wissen, dass sie zuvor schon in einen Hungerstreik gegangen war, um die Hochzeit zu verhindern, aber sie hat Ahmed benutzt. Dann verliebt Ahmed sich in einer amerikanische Jüdin, was in seiner (und ihrer) Familie zu großem Drama führt. Jetzt kommt ein großer Spoiler, im Zweifel also lieber erst den nächsten Absatz lesen: Nach der Hochzeit wird diese Jüdin von den Israelis getötet, weil sie Ahmeds Haus zerstören wollen und sie es verhindern will. Dieser Tod war so unnötig und nur für den Schockvalue da. Es hat absolut nichts in der Geschichte beigetragen - und immer noch ist Ahmed so: naja, passiert halt, schade. Wie kann ein Mann in so einem Moment nicht wütend auf Israel werden? Naja, am Ende wird er dann an eine Frau aus seinem Dorf verheiratet, den Teil fand ich dann ok, aber nicht wirklich gut entwickelt.

Der letzte Teil des Buches hat mir dann wieder richtig gut gefallen, allerdings greift er leider zu kurz. In diesem Teil trifft Ahmed nun in seinen sechzigern wieder auf seinen kleinen Bruder Abbas. Dieser lebte stets in Ahmeds Schatten und hat sich über die Zeit stark radikalisiert. Jahre zuvor war er verschwunden und arbeitet nun in Gaza für die Hammas. Ahmed reist mit vielen Hürden nach Gaza, um den Bruder "zu retten". Im Streitgespräch dieser ungleichen Brüder wurden dann endlich die Dinge gesagt, die mir im Buch gefehlt haben. Abbas hat Wut, ist zornig, hasst. Und das ist natürlich auch nicht die Lösung, aber in dieser Konfrontation sieht Ahmed schließlich, was er in seinem schnieken Wissenschaftler-Leben alles zurückgelassen hat. Um seine Familie hat er sich gekümmert (na zumindest im die kleinen Brüder), aber was hat er dabei alles nicht getan? Aber hier hört das Buch dann irgendwie auf mit einer Rede, wie er nun Palästina helfen will. Für mich leider unbefriedigend.

Alles in allem ist dies ein interessantes Buch, aus dem man einiges über das Leben in Israel lernen kann. Allerdings kam mir die aktuelle Situation zu kurz, Vieles spielt in den 50er und 60er Jahren. Außerdem konnte ich mit dem Hauptcharakter leider wenig anfangen. Ich habe den Schreibstil des Buches gemocht und das Buch sehr schnell gelesen. Insgesamt ist es für mich in Ordnung, aber ich denke, es gibt bessere Bücher zum Thema.

Habt ihr das Buch gelesen? Und wie habt ihr das empfunden?

Bis bald,

Eure Kitty Retro




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