Hallo meine Klassikerleser,
ich hatte im März und April bei einem Readalong für dieses Buch teilgenommen. Vorher wusste ich rein gar nichts darüber und dachte, ich schaue einfach mal, was dabei passiert. Dabei war für mich vor allem ausschlaggebend, dass ich dicke Klassiker bei einem Readalong gut lesen kann, bei den es wöchentliche Ziele gibt, die mir erlauben, nebenher auch andere Bücher zu lesen.
Die Fakten:
- Autor: George Eliot
- Titel: Middlemarch
- Erschienen: erstmals 1871
- Verlag: Penguin Classics
- Seiten: 880
- Preis: 6,90 Euro
- Klappentext: "George Eliot's nuanced and moving novel is a masterly evocation of connected lives, changing fortunes and human frailties in a provincial community. Peopling its landscape are Dorothea Brooke, a young idealist whose search for intellectual fulfilment leads her into a disastrous marriage to the pedantic scholar Casaubon; Dr Lydgate, whose pioneering medical methods, combined with an imprudent marriage to the spendthrift beauty Rosamond, threaten to undermine his career; and the religious hypocrite Bulstrode, hiding scandalous crimes from his past."
Zur Handlung: Dorothea und ihre Schwester Celia haben ihre Eltern verloren und leben bei ihrem Onkel. Während Celia damit zufrieden ist, was ihre Zeit für Frauen so bereit hält, ist Dorothea sehr idealistisch und möchte Menschen helfen. Außerdem ist sie sehr gläubig und strebt höheres Wissen an, gleichzeitig ist sie sich bewusst, dass sie dies als Frau schwer erreichen kann. Dann trifft Dorothea auf Mr Casaubon, der bereits recht alt ist, aber eine devote Frau sucht, die vielleicht auch als Sekretärin taugt - und Dorothea sieht ihre Chance auf ein Leben mit hohem Wissen gekommen.
Dr Lydgate ist ein Arzt aus gutem Hause. Auch seine Eltern sind tot, und er konnte seine reiche Familie dazu überreden, dass er das Handwerkszeug des Arztes erlernen darf, obwohl das unter seinem Stand ist. Er ist durch Europa gereist und hat sich Wissen angeeignet, und nun möchte er sich in England einen Namen machen und das Fach revolutieren. Dafür hat er in Middlemarch in einem neuen Fieberkrankenhaus die besten Chancen, bis er Rosamond trifft.
Dieser Klassiker ist ein sehr dickes und dicht erzähltes Werk, dass auf das ländliche Leben Mitte des 19. Jahrhunderts in England fokussiert. Der Einstieg mit Dorothea und Celia hat mir gut gefallen, der Schreibstil war sehr ansprechend. Ich mochte Dorothea mit ihren Starrsinn und ihrem Idealismus, aber ich mochte auch die Beziehung zu ihrer Schwester Celia, die schon immer mit Dodos "Launen" zu leben weiß. Mit Dorotheas Hochzeit endet dann zunächst dieser Erzählstrang und plötzlich springt die Handlung zu ganz anderen Charakteren.
Man sollte sich daher darauf einstellen, dass man die ersten paar 100 Seiten nicht weiß, worum es eigentlich geht. Man trifft eine Vielzahl von Charakteren, von denen Menschen wichtig, andere schmückendes Beiwerk sind, ohne dass es einem leicht gemacht wird, dies von vorn herein zu erkennen. So geht das Buch zum Beispiel recht ausführlich auf den Karriereeinstieg von Lydgate in der Gemeinde von Middlemarch ein, was aber eigentlich gar nicht so wichtig ist, dafür aber recht langweilig.
In der zweiten Hälfte wird es dann aber besser durchschaubar. Man hat dann die Charaktere zusammen und versteht, wer was warum tut. Außerdem überkreuzen sich die Wege der Charaktere mehr, sodass sie auch in Beziehung zueinander treten und die Erzählstränge nicht nur nebeneinander her laufen. Aber die zweite Hälfte ist eben erst nach 400+ Seiten.
Es gibt einige interessante Themen in diesem Buch. Im Vordergrund steht die Erwartung, die die Gesellschaft jener Zeit an junge Frauen stellt. Mit Dorothea, Rosamond, Celia und Mary haben wir vier sehr unterschiedliche junge Frauen, die sehr unterschiedliche Wege wählen. Während Celia mit dem zufrieden ist, was für sie vorgesehen ist, und damit glücklich wird, wollen die drei anderen jeweils etwas mehr. Dorothea möchte Bedeutung und Wissen von ihrer Ehe und endet mit einem Ehemann, der alles tut, um ihr das Leben schwer zu machen, nachdem er eigentlich gar keinen Platz für sie in seinem Leben hat. Rosamond will den sozialen Aufstieg schaffen, in den höchsten Kreisen verkehren und viel Geld ausgeben können, ohne darüber nachzudenken, und endet in der Schuldenfalle mit einem Mann aus guter Familie, die sich nicht um ihn (oder sie) schert. Mary möchte einen Ehemann, der für sie sorgen kann, und beharrt darauf, sich vorher nicht zu versprechen. Sie braucht viel Geduld. Generell schwingen in dem Buch aber auch viele sexistische Untertöne mit, wenn Mr Brooke darüber spricht, was das Gehirn einer Frau so leisten kann und was nicht, wenn Fred sich über seine Schwester schon beim Frühstück auslässt, und wenn die Männer in Krisensituationen ihre Frauen im Dunkeln halten, bis der Tratsch sie erreicht. Teilweise war das schwer zu lesen und macht viele Charaktere aus heutiger Sicht ziemlich unangenehm.
In späteren Kapiteln des Buches geht es beispielsweise auch darum, wie die Vergangenheit einen einholen kann. So gibt es einen Charakter, der auf fragliche Weise an sein Einkommen gekommen ist. Dies droht dann herauszukommen und der Charakter tut alles, um das zu verhindern. Gleichzeitig wird klar, dass die Geheimnisse gerade deswegen so pikant sind, weil dieser Charakter alle anderen immer so stark religiös und moralisch beeinflussen will und sich als guten Samariter darstellt.
Das Ende ist dann eine Art "Ende gut, alles gut", was ich persönlich nicht so gern habe. Mir war das Ende viel zu sehr mit einem Schleifchen versehen, alle waren irgendwie dann verheiratet mit Kindern und damit ist ja "alles gut". Natürlich passt das in die Vorstellungen der Zeit, aber gerade unter dem Blickwinkel von heutigem Feminismus hätte ich mir da doch etwas mehr gewünscht.
Alles in allem war das Buch interessant, und es tut, was es zu tun verspricht: es analysiert und beschreibt das ländliche Leben in England zu dieser Zeit. Es gibt viele Exkurse in politische, religiöse und soziale Themen der Zeit, es gibt viele Kapitel, die eigentlich mit der Handlung nicht viel zu tun haben, und es gibt so viele Charaktere, dass man sich bemühen muss, dem Buch sinnvoll zu folgen. Aber der Schreibstil ist wirklich einzigartig schön, und es ist ja schon ein tolles Gefühl, so ein dickes Werk gelesen zu haben. So richtig empfehlen kann ich es nicht, aber ihr wisst ja selbst, ob euch das berichtete interessiert oder nicht.
Welches ist denn der dickste Klassiker, den ihr bisher gelesen habt? Bei mir bleibt das erstmal Les Miserables.
Bis bald,
Eure Kitty Retro
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