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Mittwoch, 3. November 2021

Nujeen - Flucht in die Freiheit


Hallo meine Lieblingsleser,

es ist Non-Fiction November und ich möchte passend dazu mit dieser Autobiografie starten. Sie ist vergleichbar mit der Jugendausgabe von Malala, ein junges Mädchen, das aufgrund von Krieg und Zerstörung ihre Heimat verlassen muss. Das Besondere an Nujeen - sie sitzt dabei im Rollstuhl.

Die Fakten: 

  • Autor: Nujeen Mustafa & Christina Lamb
  • Übersetzung: Friedrich Pflüger & Wolfram Ströle
  • Titel: Nujeen - Flucht in die Freiheit- Im Rollstuhl von Aleppo nach Deutschland
  • Erschienen: 2016
  • Verlag: HarperCollins
  • Seiten: 299
  • Preis: 9,99 Euro
  • Klappentext: "Vor dem Krieg war sie trotz ihrer Krankheit, die sie ans Haus fesselte, ein gewöhnlicher Teenager, der Seifenopern liebte und sich so Englisch beibrachte. Als sie aus Aleppo fliehen muss, verliert die willensstarke junge Frau nie die Hoffnung auf ein besseres Leben. Eindrünglich und berührend erzählt die sechzehnjährige Nujeen, was es bedeutet, die Heimat und die Familie hinter sich zu lassen. Es ist die Geschichte unserer Zeit - am Beispiel einer bemerkenswert tapferen Syrerin, die nie aufgehört hat, zu lächeln."

Nujeens Leben war nie im klassischen Sinne "normal". Anhand ihrer Geschichte zeigt sie auf, wie schwierig es für Personen mit Behinderungen überall auf der Welt ist, ein selbstbestimmtes "normales" Leben zu führen, weil die Infrastrukturen dafür fehlen. Die Wohnung von Nujeens Familie in Aleppo ist im vierten oder fünften Stock und es gibt keinen Aufzug. Die männlichen Familienmitglieder tragen sie und den Rollstuhl nur zu besonderen Anlässen durchs Haus. Nujeen verbringt ihr Leben so ähnlich wie wir die letzten Monate - immer in den vier Wänden.

Damit beginnt die Geschichte, Nujeens ganz "normales" Leben in dieser Wohnung, mit einem Balkon, über dessen Brüstung sie kaum schauen kann. Sie schaut viel fern, liest viel, wenn der Strom ausfällt, und kriegt manchmal viel zu viel vom Leben ihrer Verwandten mit. Aber sie ist nicht unglücklich, nur manchmal ein wenig zickig, wenn jemand sie während ihrer Lieblingssoaps im Fernsehen stören will.

Als dann in Syrien die Proteste und schließlich der Bürgerkrieg ausbrechen, ist die Familie zunächst unschlüssig, was zu tun ist. Sie harren aus, die Schwester versucht sogar weiter zur Uni zu gehen, obwohl das nicht sicher ist. Irgendwann wird jedoch klar, dass die Familie nicht in Aleppo bleiben kann und sie fliehen zunächst zurück in das Dorf, aus dem sie stammen. Dieses hatten sie ursprünglich verlassen, damit Nujeen eine bessere Behandlung bekommen kann - doch das ist nun die geringste Sorge.

Als dann der Daesh das Dorf einnimmt, ist auch dort kein sicherer Hafen mehr für die Familie und notgedrungen fliehen sie weiter. Gemeinsam geht es noch in die Türkei, doch ab da muss Nujeen sich allein mit ihrer Schwester auf den Weg machen. Die beiden wollen es nach Deutschland schaffen, wo bereits ein Bruder auf sie wartet. Wir begleiten die beiden dann auf dem langen und abweisenden Weg durch Europa.

Die Flüchtlingskrise von 2015/16 ist vielleicht einigen noch im Kopf, auch wenn die Zeit schnell vergeht und immer neue Krisen auf uns warten. Eine von den vielen Menschen, die so verzweifelt nach einem Weg nach Deutschland suchten, war Nujeen. Ich war sehr glücklich, dieses Buch zu finden, denn es zeigt auf, wie beschwerlich dieser Weg war. Bei all der Propaganda, die wir uns aus dem rechten Spektrum seitdem tagein, tagaus anhören können, war dieses Buch so erfrischend, denn während es auf jeden Fall für Teenager geschrieben ist, und damit meist leicht und fast abenteuerhaft bleibt, so zeigt es doch, dass niemand diesen Weg freiwillig einfach mal so auf sich nimmt, um zu schauen, ob es in Europa nicht schöner ist.

Was mich am meisten geschockt hat - obwohl es mich nicht überrascht hat - sind die Preise. Viele Teile des Weges können nur mithilfe illegaler Schleußer zurückgelegt werden, zum Beispiel der Seeweg von der Türkei nach Griechenland. Diese lassen sich die "Hilfe" gut was kosten, wir sind hier im vierstelligen Dollarbereich. Die Haushaltskasse von den Menschen, die es tatsächlich nach Deutschland schaffen, muss also ordentlich voll gewesen sein, um den Weg überhaupt zu ermöglichen. 

Neben den klassischen Hindernissen und Hürden auf diesem Weg geht es natürlich auch immer wieder darum, dass Nujeen im Rollstuhl sitzt, was manchmal als gefährlich, manchmal als nützlich gesehen wird. So zweifelt ihre Familie beispielsweise daran, ob das Schlauchboot, das sie nach Griechenland bringen soll, mit dem Rollstuhl nicht sinken wird, und er wird beinahe zurückgelassen. Andererseits kann der Rollstuhl auch dazu dienen, Mitfahrgelegenheiten zu bekommen. Insgesamt macht er den Weg aber eben nochmal besonders. Getroffen hat mich zum Beispiel der Fakt, dass Nujeen das erste Mal an einem deutschen Bahnhof einen Fahrstuhl sieht - nachdem sie in so vielen Bahnhöfen war.

Nujeen als Person mochte ich beim Lesen sehr. Sie ist sehr optimistisch, was man auch manchmal als naiv abtun kann. Aber sie hat auch die Gabe Dinge zu bewundern, zum Beispiel als sie das erste Mal in einem Flugzeug ist. Das macht sie sympathisch und gleichzeitig auch authentisch. Mit ihrer guten Laune gelingt es, diesem langen beschwerlichen Weg ein bisschen Abenteuer einzuhauchen, wobei auch hilft, dass man natürlich im Hinterkopf weiß, dass es gut ausgeht. Andererseits verschweigt sie aber die Momente nicht, in denen es nicht gut ausgegangen ist.

Der Schreibstil ist dabei sehr flüssig, und das Buch liest sich sehr schnell. Es ist auf jeden Fall für junge Leser geschrieben, was aber nicht heißt, dass man daraus nichts mehr lernen kann. Vor allem für Personen, die in der EU, in Deutschland leben, ist dieses Buch für mich ein Muss. Eh man sich irgendeine Meinung über Geflüchtete bildet, sollte man dieses Buch lesen. Es hat mir auf jeden Fall nochmal die Augen geöffnet, wie lang der Weg aus der Türkei hierher wirklich ist, auch wenn ich diesen Weg als Kind mit meinem deutschen Ausweis in nur 3 Stunden zurücklegen konnte. Vielen Menschen ist das nicht vergönnt, und wir sollten ihnen den Respekt und die Hilfe gewähren, die sie als Menschen verdienen.

Ich glaube, das Buch ist besonders auch für alle geeignet, die sonst noch nicht viel Non-Fiction lesen. Ich hoffe, ihr kauft es und lest es. Ich werde es meiner Oma zu Weihnachten schenken, damit sie vielleicht endlich der rechten Propaganda kein Gehör mehr schenkt.

Bis bald,

Eure Kitty Retro





Meine Bewertung:






Wer nicht überzeugt ist, kann ja mal in dieses Video schauen:



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