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Mittwoch, 4. August 2021

The Vanishing Half


Hallo meine Lesefreunde,

wir haben ein wenig Urlaub vom Blog genommen, hauptsächlich, weil wir noch keinen echten Urlaub haben. Ich habe auch ordentlich gelesen und muss jetzt erstmal aufholen hier, Blue dagegen macht auch eher eine Lesepause im Moment. Muss ja auch mal sein. Heute möchte ich euch vom besten Buch berichten, das ich in letzter Zeit gelesen habe, also spitzt schon mal den Bleistift, um es auf eure Wunschliste zu schreiben.

Die Fakten:

  • Autor: Brit Bennett
  • Titel: The Vanishing Half
  • Erschienen: 2020
  • Verlag: Dialogue Books
  • Seiten: 343
  • Preis: 8,96 Euro
  • Klappentext: "The Vignes sisters will always be identical. But after growing up together in a small, southern black community and running away at age sixteen, it's not just the shape of their daily lives that is different as adults, it's everything, including their racial identities. Many years later, one sister lives with her black daughter in the same southern town she once tried to escape. Across the country, the other secretly passes for white, and her white husband knows nothing of her past. Still, although separated by so many miles and just as many lies, the fates of the twins will remain intertwined. What will happen when their own daughter's storylines intersect?"

Zur Handlung: Im kleinen Ort Mallard erinnern sich noch alle daran, wie Desiree Vignes zurückkam. In diesem seltsamen Städtchen, in dem alle Schwarze Vorfahren haben, aber so hell wie möglich sein wollen, konnte sie mit ihrer sehr dunkelhäutigen Tochter nicht mehr auffallen. Zunächst wurde gar bezweifelt, ob es ihr Kind sein kann. Geflohen aus einer gewalttätigen Ehe versucht sie im Hause ihrer Mutter ein neues Leben aufzubauen, was ihre Tochter in dieser Stadt für immer prägen wird.

Inzwischen erinnert sich auch jeder, wie die beiden Zwillingsschwestern vor einigen Jahren verschwanden. Damals galt Desiree als die wildere, Stella als die ruhigere. Die beiden waren unzertrennlich. Doch etwas war auf ihren Abenteuern passiert, dass Desiree nun allein zurückkommt. Stelle hingegen hat ein völlig neues Leben begonnen, in dem ihre Familie keinen Platz hat, ein Leben, das auf einer fundamentalen Lüge beruht: dass sie weiß ist.

Dieses Buch hatte ich schon sehr lange im Auge und dann habe ich es neulich in der Bibliothek entdeckt. Schon seit ich das erste Mal Der menschliche Makel gesehen habe, übt das Thema des White-Passing eine Faszination auf mich auf, denn es zeigt besonders gut, wie race einerseits sozial konstruiert ist (offensichtlich kann man andere glauben machen, man gehöre einer anderen race an) und andererseits aber die persönlichen und sozialen Folgen davon so tiefgreifend sind (schließlich lebt man dann doch eine Lüge, die nicht auffliegen darf). Von daher habe ich das Buch direkt eingepackt, als es vor mir stand.

Bevor ich jetzt auf einzelne Teile eingehe, möchte ich sagen, dass ich alles in dem Buch geliebt habe, und es ziemlich perfekt finde. Wenn ihr euch Lesearbeit sparen wollt, wisst ihr jetzt Bescheid. Die Eröffnung ist schon sehr eindrücklich, wie alle im Diner staunen, dass Desiree Vignes wieder in der Stadt sein soll und dann noch mit einem dunklen Kind. Man versteht sofort die Dynamik in der Stadt, wie die Leute so sind, was sie wollen und was für sie absolut undenkbar ist. Wir folgen Desiree dann einerseits in der Jetzt-Zeit der Geschichte (1968) und andererseits in Rückblicken, während Kindheit und Jugend. Ich mochte Desiree als Charakter gleich und ihr Leben hat mich sehr fasziniert. Aber auch ihre Mutter ist eine ganz interessante Figur.

Im nächsten Teil des Buches folgen wir dann Desirees Tochter Jude, die endlich Mallard verlassen kann, wo sie nie dazugehören konnte aufgrund ihrer Hautfarbe. Sie zieht ans andere Ende der USA und beginnt dort ein Studium. Dort verliebt sie sich auch, und zwar in einen Trans-Mann, was ich eine sehr interessante Nebenhandlung fand. Vor allem geht es aber darum, wie anders Judes Leben ist, weil sie sehr dunkelhäutig ist. An einem Abend allerdings trifft sie dann unverhofft auf Stella und deren Tochter. 

Damit schwenkt dann die Geschichte zu Stella und ihrem Leben. Dieser Teil war besonders schwer zu lesen, aber auch besonders interessant. Man mag Stella nicht besonders, da man sieht, welche Opfer sie für dieses weiße Leben gebracht hat. Gleichzeitig hat man auch ein wenig Mitleid, weil man als Leser der einzige ist, der weiß, wie es ihr wirklich geht. Auch Stella hat eine Tochter, und im weiteren Verlauf des Buches verbinden sich diese Handlungen immer mehr.

In diesem Buch geht es vor allem um zwei Dinge: um Familie und um Colorism. Mallard als Stadt ist schon ein wildes Konzept, denn alle dort wollen möglichst helle Kinder haben, doch trotzdem werden sie im rassistischen Süden der 60er Jahre wie Schwarze behandelt. Sie haben an sich keinen wirklichen Vorteil durch dieses Verhalten, können sich aber für sich selbst von anderen Menschen abgrenzen, die sie als Schwärzer und damit noch weiter unter in der sozialen Hierarchie sehen. Das so vor Augen geführt zu bekommen, ist sehr spannend. Im Kontrast dazu sehen wir dann Stella, die tatsächlich zum Weißsein übergeht und damit ganz andere Privilegien hat, die sie in Mallard niemals bekommen hätte. Ob sie das glücklich macht, könnt ihr im Buch dann selber überlegen.

Gleichzeitig geht es um Familie auf ganz vielen Ebenen. Wir haben einerseits die Zwillinge, die zusehen mussten, wie weiße Männer ihren Vater (quasi) getötet haben. Nach diesem Trauma wachsen sie in einer Welt auf, in der sie die Dienerinnen der Weißen sind. Doch beide haben andere Träume und verlassen schließlich die Mutter, die versucht hat, sie durchzubringen als Alleinerziehende. Doch auch das tiefe Band zwischen den Schwestern wird schließlich von Stella zerrissen, und diese Beziehung steht absolut im Vordergrund. Man fragt sich die ganze Zeit, ob diese beiden, die eigentlich doch Seelenverwandte sein sollten, irgendwie wieder zusammenfinden werden. Und dann sieht man anhand der Töchter wiederum, wie die Entscheidungen der Schwestern sich so stark auf die Chancen ihrer Kinder auswirken. Wir sehen, was passiert, wenn Kinder in einer Lüge aufwachsen und skeptisch werden. Wir sehen, was passiert, wenn Kinder an einem Ort aufwachsen, an dem sie immer das Andere sein werden. Und es geht auch darum, was es bedeutet, wenn man die eigenen Wurzeln nicht kennt.

Das Ende fand ich dann sehr realistisch. Ich möchte auf keinen Fall zu viel sagen, aber es ist so, wie es im Leben wäre. Und das hat mir an diesem Buch generell gefallen, dass es sich so echt und menschlich angefühlt hat. Ich habe beim Lesen viel gelernt und gestaunt. Vor allem habe ich auch den unglaublichen Schreibstil bewundert. Wie gesagt, ich habe jedes Wort in diesem Buch geliebt.

Alles in allem kann ich hier also nur eine absolute Leseempfehlung aussprechen, wenn euch das Thema auch nur dezent interessiert. Das Buch ist wundervoll geschrieben, hat menschliche Charaktere und eine realistische Handlung. Es fokussiert Themen von Familie und von Rassismus in vielen Facetten. Es ist nicht immer leicht zu lesen, aber es ist wichtig und hat Tiefe. Für mich perfekt.

Habt ihr das Buch schon gelesen? Die deutsche Übersetzung gibt es ja inzwischen auch schon.

Bis bald,

Eure Kitty Retro




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