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Mittwoch, 1. Juli 2020

Ich bin eure Stimme

Hallo meine Lesefreunde,

heute möchte ich euch wieder eine sehr interessante Autobiografie vorstellen. Nadia Murad ist vor einiger Zeit im Weißen Haus auf Donald Trump getroffen und hat vom schrecklichen Schicksal ihrer Familie und ihres Dorfes berichtet. Nachdem sie mehrfach erwähnt hat, dass ein Großteil ihrer Familie getötet wurde, fragte Trump sie, wo ihre Familie heute ist. Das Video ging um die Welt. Ich hoffe, ein paar, die damals schockiert über den Präsidenten waren, lesen nun dieses Buch, um die ganze Geschichte von Nadia Murad zu erfahren.

Die Fakten:
  • Autor: Nadia Murad mit Jenna Krajeski
  • Titel: Ich bin eure Stimme (Original: The Last Girl)
  • Übersetzung: Ulrike Becker, Jochen Schwarzer, Thomas Wollermann
  • Verlag: Knaur
  • Erschienen: 2017
  • Seiten: 363
  • Preis: 9,99 Euro
  • Klappentext: "Als Gefangene des Islamischen Staats erlebt Nadia Murad ein unvorstellbares Martyrium: Sie verliert ihre Familie, wird zum Opfer von Demütigung, Folter und Vergewaltigung. Als sie erstmals vor den Vereinten Nationen von ihrem Schicksal berichtet, hört ihr die Weltöffentlichkeit schockiert zu. Heute setzt die UN-Sonderbotschafterin und Friedensnobelpreiskandidatin sich ein für jesidische Frauen, die noch immer in der Gewalt der Terroristen sind, und kämpft dafür, dass die Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden."

Zur Handlung: Die Geschichte von Nadia Murad ist nichts für schwache Nerven. Sie wächst in einem jesidischen Dort im Irak, nah an der Grenze zum Iran, auf. In ihrer Kindheit ist sie immer eng in die Dorfgemeinschaft und ihre Familie eingebunden. Wenn sie groß ist, möchte sie einen Makeup- und Friseursalon eröffnen und Bräute für die Hochzeit stylen.

Doch eines Tages wird das Dorf vom IS umstellt. Die Peschmerga-Miliz zieht sich ohne Vorwarnung zurück und hinterlässt das Dorf völlig schutzlos. Mehrere Wochen harren die jesidischen Bewohner in diesem Zustand aus und versuchen lokal und global Unterstützung zu finden. Schließlich werden alle Menschen vom IS abtransportiert - die Männer werden getötet, die Kinder mit Gehirnwäscheprogrammen zu IS-Kämpfern gemacht und die Frauen als Sexsklavinnen verschleppt. Nur die wenigsten können diesem Schicksal entkommen - und Nadia ist nicht dabei.

Ich fand dieses Buch sehr interessant. Obwohl ich bereits von Jesiden gehört hatte, wusste ich doch sehr wenig von dieser Gruppe. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind sie einerseits ethnisch verschieden von den anderen Gruppen im Nahen Osten. Gleichzeitig haben sie aber auch eine Religion, die nicht im Islam verankert ist. Der Grund, warum der IS Jesiden sozusagen zu Nicht-Menschen erklärt hat, ist, dass die Jesiden den ersten Engel anbeten und der IS dies als den Teufel auslegt, was die Jesiden quasi zu Satanisten macht. Deswegen ist es nach dem Recht des IS absolut richtig, die Frauen zu vergewaltigen und als Sklavinnen zu halten.

Neben dieser Einordnung der Debatte, die für ein europäisches Publikum sicherlich nötig ist, stellt Nadia Murad eindrucksvoll das Leben in ihrem Dorf dar. Man fühlt sich mit ihr geborgen, manchmal vielleicht auch ein bisschen gelangweilt, aber nie unzufrieden. Ich mochte beispielweise die Schilderungen davon, wie die ganze Familie auf dem Dach übernachtet, wenn es im Sommer sehr heiß ist. Im ersten Teil des Buches bekommt man ein gutes Gefühl dafür, wie das Leben war.

Danach kommt die Umstellung des Dorfes durch den IS. In der gegenwärtigen Situation kann man sich fast vorstellen, wie das sein muss. Man kann das Haus nicht mehr verlassen, trifft sich nur noch mit den nächsten Verwandten, und weiß nicht, ob man sicher ist oder nicht. Dennoch nehme ich es jederzeit lieber mit dem Coronavirus auf als mit dem IS. Für einige ist jetzt vielleicht aber gerade nicht die richtige Zeit, so etwas zu lesen. Ich fand es passend.

Wie man erwarten kann, wird es richtig schlimm in dem Moment, wo der IS die Menschen zusammentreibt und abtransportiert. Hier war das Lesen wirklich am schwierigsten für mich und ich musste Pausen einbauen. Ein Kapitel ist dann auch aus der Sicht eines der Brüder, das war für mich so hart. Aber auch für die Frauen und Mädchen geht es nicht gerade rosig weiter.

Nadia Murad gelingt es, trotz weniger expliziter Beschreibungen der sexuellen Gewalt zu verdeutlichen, was sie durchmacht. Es werden schon einige Dinge deutlich beschrieben, aber sie schafft diese Gradwanderung, dass wir uns genau ein Bild machen können, aber auch nicht zu deutlich mitlesen müssen, sodass es schon wieder eine komische Faszination auslösen könnte. Ich fand das richtig stark gemacht.

Über den weiteren Weg möchte ich gar nicht mehr so viel sagen, aber: es war auf jeden Fall zwischendurch fast schon ein Thriller. Ich habe das Buch kaum weglegen können und es hat mir viel Neues gezeigt und erklärt. Ich wurde gut unterhalten und gleichzeitig weitergebildet. Das heißt, das Buch hat seinen Zweck für mich absolut erfüllt.

Auch der Schreibstil war sehr angenehm. Das Buch verfügt außerdem über eine Karte für Personen wie mich, die keine Ahnung von Geografie haben. Was mir ein bisschen gefehlt hat an dem Buch, ist allerdings etwas mehr Anknüpfungspunkte. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, ich hätte jetzt etwas für mein eigenes Leben gelernt - und wenn nur, wie ich helfen kann. Das fand ich ein bisschen schade. Gleichzeitig ist das Schicksal von Nadia Murad doch sehr weit weg von allem, was wir uns in Europa vorstellen können. Ich glaube nur, ich hätte mir da noch ein bisschen mehr Gefühl und nicht ausschließlich Deskription gewünscht.

Alles in allem kann ich euch das Buch aber ans Herz legen. Es ist keine leichte Geschichte, aber eine wichtige. Nadia fand ich als Person total ansprechend und ich konnte absolut mit ihr mitfühlen. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass das Schicksal sich endlich wendet für sie und sie in Sicherheit kommt. Und zumindest ihr ist es am Ende ja irgendwie zum Glück gelungen.

Kennt ihr das Buch oder die Autorin? Und habt ihr euch schon mal mit Jesiden beschäftigt?

Bis bald,
Eure Kitty Retro





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